Beklemmendes Zahlenspiel um Flüchtlinge in Brüssel

Brüssel · Lieber abwehren als aufnehmen: Die Mitgliedstaaten der EU haben bei ihrer Asylpolitik längst andere Seiten aufgezogen. 60 000 Menschen wollte man eigentlich aufnehmen, gestern Abend konnte man sich dann allerdings nur auf knapp 55 000 einigen.

Es war ein beklemmendes Zahlenspiel, das an diesem Montagnachmittag in Brüssel stattfand. 2000 Flüchtlinge für Polen, 1100 für Irland, Österreich nimmt 400 weitere auf, will dann aber dichtmachen, Deutschland sagte 9000 zu, es könnten aber auch 12 000 werden. 60 000 Menschen wollten die EU-Staaten eigentlich aufnehmen, verständigt hat man sich am Abend nur auf knapp 55 000 - 32 256 Migranten aus den italienischen und griechischen Auffangstellen, 22 504 aus Ländern außerhalb der EU, vor allem Syrien. Dabei hatte es zu Beginn des Treffens der 18 EU-Innenminister noch geheißen: "Wir reden nicht über Zahlen, sondern über Solidarität", wie es ein hoher diplomatischer Vertreter aus dem Baltikum ausdrückte. Doch die Mitgliedstaaten haben längst andere Seiten aufgezogen. Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner rechnete den Partnern vor, dass die Alpenrepublik - pro Einwohner gerechnet - zehn Mal mehr Asylbewerber aufgenommen hat als Italien und Griechenland zusammen. Ungarn verteidigte seinen Plan eines Grenzzauns nach Serbien und die Unterbringung von Flüchtlingen in nahezu entvölkerten Landstrichen. "Der Schlüssel zur Lösung liegt an den Außengrenzen", hieß es. Dort müssten die Einwanderer registriert, elektronisch erfasst und notfalls auch zurückgeschickt werden, betonte die Runde. Doch auch darauf wollen sich nicht alle einlassen.

Die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite begründete ihr striktes Nein zur Aufnahme: "Eine Verteilung der Zuwanderer wird nur noch mehr zur Zuwanderung ermutigen." Völlig falsch scheint das nicht zu sein. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hatte sich ebenfalls lange mit diesem Argument quergestellt, ehe die Bundeskanzlerin vor wenigen Wochen bei einem Sondergipfel Bereitschaft signalisierte, bis zu 9000 Flüchtlinge - zusätzlich zu denen, die ohnehin kommen - aufzunehmen. Gestern legte die Bundesrepublik nach. Dabei wussten auch an diesem Montag vor der europäischen Sommerpause alle, dass die erreichte Einigung keine dauerhafte Lösung sein kann. "Die Zahlen sind nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein", betonte die Innenexpertin der SPD im Europäischen Parlament, Birgit Sippel. "Allein in Syrien sind zurzeit 7,6 Millionen Menschen auf der Flucht, vier Millionen befinden sich schon in Nachbarländern. Wir brauchen auf Dauer weitergehende Lösungen." Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz meinte vor dem Treffen seiner Innenressort-Kollegen, ein "völliges Abschließen des Themas" werde es nicht geben. "Wir hatten im letzten Jahr in der EU über 600 000 Flüchtlinge , dann werden es in diesem über eine Million sein."

Zwar laufen im Hintergrund bereits die Vorarbeiten bei der Brüsseler Kommission, die in der zweiten Jahreshälfte einen Vorschlag zur Reform des bisherigen Dublin-II-Abkommens vorlegen will. Es schreibt fest, dass der Staat für die Prüfung eines Asylgesuches zuständig ist, den der Flüchtling als erstes betritt. Aber diese Vorschriften passen nicht mehr zur Dimension des Problems. "Die Zuwandererströme haben eine Größenordnung erreicht, die ganz Europa betrifft", hieß es aus der deutschen Delegation. Deshalb wird es wohl auch einen neuen Anlauf für einen Verteilschlüssel auf zumindest die 26 EU-Staaten geben, die sich nicht wie Großbritannien und Dänemark schon frühzeitig Ausnahmeregelungen gesichert haben.

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