Behörden müssen Barrieren abbauen

Berlin · Für Behinderte soll es in Einrichtungen und Behörden des Bundes mehr Barrierefreiheit geben. Die vom Bundestag gestern verabschiedete Gesetzesnovelle stößt jedoch bei Sozial- und Behindertenverbänden auf Kritik. Bemängelt wird vor allem, dass private Anbieter nicht in die Pflicht genommen werden. Aus Protest gegen das Behindertengleichstellungsgesetz hatten sich seit Mittwochabend mehrere Aktivisten in Rollstühlen am Berliner Reichstagsufer aneinandergekettet. Sozialministerin Andrea Nahles (SPD ) sprach hingegen von einem Erfolg.

Die Neuregelung sieht vor, dass alle baulichen Barrieren in Bundesbehörden beseitigt werden. Nach dem seit 2002 geltenden Behindertengleichstellungsgesetz musste der Bund bisher nur bei Neubauten darauf achten. Nun sollen auch Barrieren an bestehenden Gebäuden abgebaut werden. Bis 2021 müssen die Behörden über den Stand der Barrierefreiheit in ihren Gebäuden berichten. Zudem sollen die interne Kommunikation und elektronische Verwaltungsabläufe so gestaltet werden, dass auch behinderte Menschen sie uneingeschränkt nutzen können. Das Gesetz sieht außerdem eine Förderung der "Leichten Sprache" vor, die auch für Behördendokumente verwendet werden soll.

Der Sozialverband VdK kritisierte das Reformgesetz als unzureichend. "Die Bundesregierung macht nur halbe Sachen zu Lasten von Menschen mit Behinderungen, die in Deutschland auch künftig auf zahllose Barrieren stoßen werden", sagte Verbandschefin Ulrike Mascher . Auch der Sozialverband Deutschland zeigte sich enttäuscht. Es bleibe bei den Hindernissen, die den Alltag behinderter Menschen maßgeblich erschweren, "zum Beispiel beim Arztbesuch, beim Sport oder an der Theaterkasse".

Meinung:

Eine vertane Chance

Von SZ-Korrespondent Werner Kolhoff

Der Umgang einer Gesellschaft mit ihren Behinderten ist nicht nur eine sozialpolitische Frage. Sondern auch eine moralische. Er zeigt, ob sie eine harte Ellbogengesellschaft ist, oder ob sie für alle da ist. Mit dem gestern verabschiedeten Gesetz bleibt unsere Gesellschaft hinter ihren Möglichkeiten zurück. Die verordnete Barrierefreiheit, baulich und im Internet, gilt nur für die Bundesverwaltungen. Die gesamte Privatwirtschaft wird ausgespart. Wenigstens eine Verpflichtung zur Selbstverpflichtung wie bei der Frauenquote, wenigstens ein zeitliches Ziel wäre möglich gewesen. Eigentlich müsste es selbstverständlich sein, dass jeder, der eine Leistung öffentlich anbietet, diese allen zugänglich macht. Jede Kneipe, jeder Laden, jedes Büro. Dass Gesetze nötig sind, um ein solches Denken durchzusetzen, ist traurig genug. Dass sie jetzt nicht beschlossen werden, wo man sich des Themas doch angenommen hat, ist eine vertane Chance.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort