Behinderte kritisieren „Teilhabegesetz“

Die Erwartungen waren riesig, jetzt ist die Enttäuschung groß. Der Entwurf für ein „Bundesteilhabegesetz“ stößt bei Behindertenverbänden auf massive Kritik. Die Regierung findet das überzogen und spricht von einem Quantensprung in der Behindertenpolitik.

Was ist das Ziel des Bundesteilhabegesetzes?

Es ist das letzte große sozialpolitische Vorhaben von Schwarz-Rot und entspricht einer UN-Vorgabe. Behinderte sollen nicht mehr "fürsorglich" behandelt werden, sondern echte Teilhaberechte bekommen. Acht Millionen Menschen mit einer schweren Behinderung gibt es in Deutschland. 750 000 von ihnen erhalten Eingliederungshilfe, rund 280 000 arbeiten in Werkstätten statt auf dem ersten Arbeitsmarkt.

Was sind die wichtigsten neuen Regelungen?

Vieles betrifft die Kooperation der Behörden und die Rechte der Betroffenen. So sollen alle Leistungsträger mit dem Behinderten gemeinsam einen Teilhabeplan erarbeiten. Sehr wichtig für die Betroffenen ist auch, dass sie oder ihre Ehepartner ab 2017 mehr Vermögen behalten dürfen, wenn sie Eingliederungshilfe beantragen. Nämlich 25 000 Euro - derzeit sind es nur 2600 Euro. Und ab 2020 sollen es 52 000 Euro sein, so viel wie das Durchschnitts-Vermögen in Deutschland. Wohneigentum darf dazukommen. Ab 2020 soll zudem das Vermögen der Ehepartner nicht mehr herangezogen werden.

Wieviel kostet das Gesetz?

Den Bund rund 400 Millionen Euro jährlich. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU ) hatte lange gebremst, zuletzt aber eingewilligt. Zum Vergleich: Für die in dieser Woche ebenfalls beschlossene Elektroauto-Kaufprämie und Stromtankstellen gibt der Bund bis 2019 rund eine Milliarde Euro aus.

Woran entzündet sich die Kritik ?

Zum einen daran, dass die Vermögensanrechnung nicht ganz aufgehoben wird. Eine Betroffenen-Initiative hatte dafür 325 000 Unterschriften gesammelt. Auch, dass die Koalition zunächst ankündigte, die Einführung eines neuen "Behindertenteilhabegeldes" zu prüfen, nun aber doch auf eine solche Leistung verzichtet, wird negativ kommentiert. Freilich hätte das fünf Milliarden pro Jahr gekostet. Die Blindenverbände bemängeln, dass bei der Blindenhilfe weiter die alten Regeln gelten, nämlich 2600 Euro eigenes Vermögen. Kritisiert wird auch, dass das Gesetz das "poolen" von Leistungen einführt. Dabei können die Sozialämter anordnen, dass mehrere Behinderte gemeinsam eine Leistung in Anspruch nehmen müssen, sich etwa einen Helfer teilen müssen. Das schränke das Selbstbestimmungsrecht massiv ein, erklärte die Sprecherin für Behindertenpolitik der Grünen, Corinna Rüffer. Reserviert hat sich die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele (SPD ), geäußert: "Die Kritik von mir und den Verbänden hat teils gefruchtet, aber der Prozess geht weiter."

Wie geht es weiter?

Bisher liegt nur ein Referentenentwurf vor, der nun zwischen den Ministerien abgestimmt wird. Erst dann geht es ins Kabinett, voraussichtlich im Juni. Ab 2017 soll das Gesetz gelten.

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