Basar der vorgekochten Nachrichten

Berlin · Seit nunmehr 65 Jahren stellen sich Politiker und ihre Sprecher in der Bundespressekonferenz den Fragen der Journalisten. Bundespräsident Joachim Gauck würdigte gestern die Institution als gelebte Pressefreiheit.

Bei Jubiläumsfeiern wird die Geschichte meist ordentlich verklärt. Bei der Bundespressekonferenz war das gestern anlässlich ihres 65. Geburtstages nicht anders. Eine Fotowand zeigte ein kleines Gästebuch der Wichtigen: Helmut Schmidt , Willy Brandt , Helmut Kohl , Angela Merkel und viele andere. Mit Joachim Gauck hielt ein leibhaftiger Bundespräsident die Festrede. Die Bundespressekonferenz habe sich, schmeichelte Gauck, "eine Schlüsselposition im demokratischen Diskurs erobert".

Fast jeder Deutsche kennt die blaue Wand mit dem Schriftzug "Bundespressekonferenz ". Kanzler haben hier gesessen, Kanzlerkandidaten, Minister, Sachverständige, Lobbyisten. Und viele Regierungssprecher. Das Gebäude liegt direkt in Sichtweite des Reichstages und ist mit seinen zahlreichen Konferenzräumen so etwas wie ein Basar der Nachrichten geworden. Viele der Journalisten müssen nur mit dem Lift in ihre Büros fahren oder beobachten das Geschehen gleich von dort aus auf ihren Bildschirmen. Kernstück ist drei Mal in der Woche die Regierungspressekonferenz, bei der die Sprecher aller Ministerien anrücken und so lange sitzen bleiben müssen, bis auch die letzte Frage beantwortet ist. Und das entscheidet der Sitzungsleiter, selbst ein Journalist. Dass die Presse das Hausrecht hat, und die Politik zu Gast ist, das ist die große deutsche Besonderheit, auf die der Verein stolz ist wie auf sonst nichts. "Die Bundespressekonferenz ist gelebte Pressefreiheit ", lobte der Bundespräsident.

Noch immer sind zwar über 900 Journalisten Mitglied, beinahe alle Medien sind vertreten. Doch ist die Tendenz sinkend, wegen der Zeitungskrise. Außerdem wird längst woanders mehr und intensiver recherchiert, als hier. Und auch berichtet. Im Internet zum Beispiel. Bei Twitter . Oder live bei Phönix. Das Tempo des Nachrichtenumschlages hat sich enorm beschleunigt.

Gauck machte diese Beschleunigung gestern zum Schwerpunkt seiner Rede: Innerhalb der drei Quadratkilometer Berlin , die das Regierungsviertel ausmachten, gelte irgendwie alles als eilig, sagte er. Der Saal der Bundespressekonferenz war für diese Kulturkritik aber womöglich der falsche Ort. Dort stürmt selten jemand entfesselt ans Telefon. Denn was hier mitgeteilt wird, ob von Regierungsstellen oder Lobby-Verbänden, ist wohl vorbereitet. Die Ministeriumssprecher zum Beispiel haben morgens mehrere Koordinierungsrunden durchlaufen und versucht, alle möglichen Fragen vorzuempfinden, ehe sie sich den Journalisten stellen. Oft mit nichts sagenden Antworten. Die Teilnehmerzahler sind deshalb gesunken, außer wenn die Bundeskanzlerin kommt. Dann ist der Saal stets brechend voll.

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