Barrierefrei nur in Trippelschritten
Berlin · Unzureichend und lebensfremd nennt Verena Bentele die Reform-Pläne für das Behindertengleichstellungsgesetz. Die Regierungsbeauftragte kritisiert vor allem den Geltungsbereich des Gesetzes.
Es ist selten, dass ein Regierungsmitglied einen Gesetzentwurf der Regierung im Parlament kritisiert. Verena Bentele (SPD ) hat das gestern getan. Die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung bezeichnete die geplante Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes als unzureichend und teils lebensfremd.
Das Behindertengleichstellungsgesetz gibt es seit 2002. Es wird jetzt reformiert, um Lücken zu schließen, die sich in der Praxis ergeben haben. Es geht um Barrierefreiheit - in den Gebäuden, aber auch in der Kommunikation. So werden die Verwaltungen angehalten, ihre Internetangebote für Behinderte nutzbarer zu machen und Gesetze, Verordnungen und Bescheide auch in "leichter Sprache" zur Verfügung zu stellen. Neu ist auch die Schaffung einer bundesweiten Schlichtungsstelle, die Beschwerden regeln soll.
Das Gesetz ist jedoch nur für die Bundes- und Landesverwaltungen verbindlich; für die Privatwirtschaft gilt weiterhin der Grundsatz freiwilliger Vereinbarungen mit den Behindertenverbänden. Hier setzt die Kritik Benteles an. Die von Geburt an blinde Politikerin, die als im Biathlon zahlreiche Paralympics-Goldmedaillen gewann, sagte, das Gesetz bleibe deutlich hinter ihren Zielen zurück. Es sei "lebensfremd", zwischen privaten und bundeseigenen Gebäuden zu unterscheiden. Alles, was öffentlich zugänglich sei, "von der Kneipe bis zum Bundestag", müsse barrierefrei sein. Und zwar nicht nur die Zugänge, sondern auch die Toiletten und Fahrstühle.
Selbst bei den öffentlichen Gebäuden sei das Gesetz zu unverbindlich. Hier enthält die Reform nur die Pflicht, bis 2021 über bestehende Barrieren zu berichten. "Davon werden sie nicht beseitigt", klagte die Behindertenbeauftragte . Die anderen geplanten Regelungen begrüßte sie. Insbesondere, dass ein Partizipationsfonds eingerichtet werden soll, um Behindertenvertretungen zu finanzieren.
Benteles grundsätzliche Kritik wurde auch von der Opposition geteilt. Die Links-Politikerin Katrin Werner sagte, es fehle der Regierung "Mut und Wille", auch die Privatwirtschaft zur Barrierefreiheit zu verpflichten. Für die Grünen sagte Corinna Rüffer an die Adresse der Regierung: "Ihre Reden von Teilhabe sind Sonntagsreden." In Ländern, die schärfere Regelungen hätten, sei die Wirtschaft auch nicht zusammengebrochen.