Interview mit Außenminister Heiko Maas „Da zählt jede Sekunde“

Berlin · Der Bundesaußenminister warnt nach der Explosion in Beirut vor einer weiteren Destabilisierung im Libanon.

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) sichert dem Libanon schnelle, gezielte und unbürokratische Hilfe der Bundesregierung zu.

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) sichert dem Libanon schnelle, gezielte und unbürokratische Hilfe der Bundesregierung zu.

Foto: dpa/Petros Giannakouris

Nach der verheerenden Explosion in Beirut ist auch die deutsche Hilfe für die betroffenen Menschen angelaufen. Kein Land könne eine solche Katastrophe allein bewältigen, so Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) im Gespräch mit unserer Redaktion. Er warnt vor einer weiteren Destabilisierung des Libanon.

Herr Minister, Beirut und der Libanon liegen am Boden. Wie wird Deutschland helfen?

MAAS Angesichts dieses Schicksalsschlages helfen wir schnell, gezielt und unbürokratisch. Es geht jetzt erst mal um die Linderung der größten Not: Deshalb ist noch am Mittwochabend ein Team des Technische Hilfswerks nach Beirut gereist, das bei der Bergung von Verschütten unterstützt. Da zählt jede Sekunde.

Was macht die Bundesregierung noch?

MAAS Wir haben als Auswärtiges Amt dem Deutschen Roten Kreuz 1,5 Millionen Euro Soforthilfe zur Verfügung gestellt. Das DRK wird damit erstes medizinisches Material wie Ausrüstung für die Ärzte und Medikamente sowie Notunterkünfte für Obdachlose nach Beirut liefern. Die Bundeswehr ist auch in Beirut und hat begonnen, mögliche Einsätze eines Feldlazaretts und von MedEvac-Flügen vorzubereiten. Auch als Europäische Union helfen wir: Die EU-Kommission hat 33 Millionen Euro Nothilfe zugesagt.

Ist nicht auch die Weltgemeinschaft gefordert?

MAAS Kein Land kann so eine Katastrophe alleine bewältigen. Wir müssen international und in der Europäischen Union überlegen, wie wir unsere weitere Hilfe aufstellen: bei der Versorgung mit Nahrung und Notunterkünften und beim Wiederaufbau von Hafen und Stadt.

Was bedeutet die Katastrophe für die Menschen im Libanon?

MAAS Die Menschen im Libanon waren schon vor der Katastrophe verzweifelt: Das Land steckt mitten in der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte. Die Corona-Pandemie hatte das Land fest im Griff, die Zahlen sind zuletzt wieder gestiegen. Nun stehen viele Menschen im wahrsten Sinne des Wortes vor den Trümmern ihrer Existenz. Ihnen müssen wir in diesen schweren Zeiten beistehen.

Kann man Vertrauen in die libanesische Regierung haben, die das Land runtergewirtschaftet hat?

MAAS Im Libanon ist es der politischen Führung bisher nicht gelungen, die dringend benötigten Reformen im Wirtschafts- und Finanzsektor schlagkräftig anzugehen. Wir stehen dazu seit langem im Dialog und sind auch weiterhin bereit, in den Gesprächen mit dem Internationalen Währungsfonds zu unterstützen. Dafür braucht es aber echten Reformwillen.

Sehen Sie diesen Willen?

MAAS Jetzt muss es erst einmal da­rum gehen, die unmittelbare Not zu lindern. Unsere Maßnahmen orientieren sich an den Bedürfnissen der Bevölkerung vor Ort. Wir verfügen als wichtiger humanitärer Geber in Libanon über ein dichtes Netz von Hilfsorganisationen, mit dem wir eng zusammenarbeiten, um den Menschen gezielt zu helfen.

In der Region gibt es zahlreiche, auch kriegerische Konflikte. Wird die Katastrophe die Lage verschärfen?

MAAS Die Katastrophe birgt das hohe Risiko, Libanon weiter zu destabilisieren. Es gibt dort nichtstaatliche, aus dem Ausland finanzierte Akteure wie Hisbollah, die ein entstehendes Vakuum nutzen würden. Deshalb müssen wir, die internationalen Partner, uns eng abstimmen und unsere Hilfe über etablierte Hilfsorganisationen abwickeln. Erste Überlegungen für eine zeitnahe internationale Geberkonferenz sind sinnvoll. Wir wollen den Libanon stärken, denn diese Krise darf nicht genutzt werden, um ausländischem Einfluss in Libanon Tür und Tor zu öffnen. Es gibt auch Hoffnungszeichen: Israel hat Libanon umfassende Hilfe angeboten – obwohl beide Staaten seit Jahren im Kriegszustand befinden.

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