Neuer britischer Premier Wie Johnson den politischen Kurswechsel vorbereitet

London · Kooperation mit den USA am Golf und ein möglicher No-Deal-Brexit: Der neue britische Premier macht ernst – und er steht unter Zeitdruck.

Eine Woche kann in der Politik bekanntlich eine lange Zeit sein. Das gilt umso mehr im Vereinigten Königreich, wo seit vergangenem Mittwoch Boris Johnson als Premierminister waltet. So hat er etwa ein sogenanntes „Kriegskabinett“ aus sechs hochrangigen Ministern gebildet, wie Medien betonten, das alle Vorbereitungen für einen No-Deal-Brexit, einen ungeordneten EU-Austritt ohne Abkommen und Übergangsphase, treffen soll.

Die Zeit drängt, weniger als 100 Tage bleiben Johnson, um sein Versprechen einzuhalten. Er beteuert bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass die Briten bis zum 31. Oktober dieses Jahres die Staatengemeinschaft verlassen werden – „ohne Wenn und Aber“ und im Notfall auch ohne Vertrag. Der Brexit steht im Fokus der Regierungsgeschäfte, deshalb stellen sich Beobachter derzeit die Frage: Ist es Ablenkung, Vorbereitung auf einen ungeregelten Brexit oder schon Wahlkampf für mögliche Neuwahlen im Herbst, dass Johnson seit Tagen Geldgeschenke in Milliardenhöhe zusagt? Mit den Finanzmitteln wolle man die heimische Wirtschaft ankurbeln, heißt es aus Downing Street über den angekündigten Aktionsplan. Die Experten der Denkfabrik warnten, die Regierung werde im Falle einer Scheidung ohne Vertrag unter „beispiellosen Druck“ geraten. Die Provinz Nordirland werde dabei „am stärksten betroffen“.

Derweil zeigt sich Johnson regelmäßig zuversichtlich, dass ein Abkommen über den Austritt aus der EU zustande kommen wird. Nach Brüssel will er trotzdem nicht reisen, solange sich die Mitgliedstaaten weigerten, das auf dem Tisch liegende Abkommen, das Johnson als „tot“ bezeichnete, noch einmal aufzuschnüren. Deshalb begab sich der neue Regierungschef in den vergangenen Tagen zunächst auf eine Tour de Britain. In Schottland aber traf er nicht nur auf buhende Protestler, auch die dortige Erste Ministerin Nicola Sturgeon von der Scottish National Party kritisierte Johnson und seine Brexit-Strategie scharf.

Außenpolitisch scheint die neue Regierung ebenfalls einen anderen Kurs zu verfolgen, insbesondere bei der sich zuspitzenden Krise im Iran. Während der damalige Außenminister Jeremy Hunt nach der Festsetzung eines britischen Tankers in der Straße von Hormus durch iranische Revolutionsgarden vor gut einer Woche noch eine europäische Militärmission vorgeschlagen hatte, leitete Johnsons neuer Chefdiplomat Dominic Raab nun die Kehrtwende ein. Der beste Weg, Handelsschiffe im Persischen Golf zu schützen, sei ein „europäisch geführter Ansatz unterstützt von den USA“, meinte er. Die USA baten ihrerseits bereits Deutschland um Unterstützung bei der Sicherung des dortigen Handelsverkehrs (siehe Artikel  oben).

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