Wahl in Spanien Ein Sieg mit vielen Fragezeichen

Madrid · In Spanien stehen wieder schwierige Verhandlungen an: Die Sozialisten unter Pedro Sánchez haben die Parlamentswahl zwar für sich entschieden. Doch von einer Mehrheit sind sie weit entfernt. Indes feiern die Rechtspopulisten – und die bürgerliche Partei Ciudadanos steht am Abgrund.

  Spaniens amtierender sozialistischer Ministerpräsident Pedro Sánchez steht jetzt vor noch größeren Herausforderungen als zuvor. Sein Kalkül, nach Neuwahlen leichter eine Regierung bilden zu können, ist nicht aufgegangen. 

Spaniens amtierender sozialistischer Ministerpräsident Pedro Sánchez steht jetzt vor noch größeren Herausforderungen als zuvor. Sein Kalkül, nach Neuwahlen leichter eine Regierung bilden zu können, ist nicht aufgegangen. 

Foto: dpa/Bernat Armangue

Spanien steht nach der zweiten Neuwahl des Jahres vor einem Scherbenhaufen. Die Sozialisten von Ministerpräsident Pedro Sánchez gehen zwar – wie schon im April – als Sieger aus der Abstimmung hervor, eine Regierungsbildung ist aber nun in fast unerreichbare Ferne gerückt. Zudem steht der „schöne Pedro“ als Buhmann da: Beobachter prangern ihn für das politische Chaos an, in das die viertgrößte Euro-Volkswirtschaft unaufhaltsam zu schlittern droht – und in das sich nun mit Macht die Rechtspopulisten mischen.

Das Fiasko sei eine Folge von Sánchez’ „Unverantwortlichkeit“ und seiner „Unfähigkeit, eine Regierung zu formen“, nörgelte das Blatt „El Mundo“ am Montag – und spielte damit auf den Frühling und Sommer 2019 an, in denen sich der 47-Jährige nach seinem Wahlerfolg vom April konsequent geweigert hatte, mit dem linken Bündnis Unidas Podemos (UP) eine Koalition zu bilden. So musste König Felipe VI. die Neuwahl ausrufen. Es war der vierte Urnengang in vier Jahren.

Nun sind die Stimmen aber mehr zersplittert als je zuvor. Nicht nur, dass sich die Sozialisten (PSOE) mit 120 statt 123 Sitzen noch weiter von einer absoluten Mehrheit entfernt haben – auch UP erlitt eine Schlappe und hat statt 42 nur noch 35 Abgeordnete. Die liberalen Ciudadanos brachen gänzlich ein und verloren unfassbare 47 Mandate. Ihr Chef Albert Rivera sah sich am Montag genötigt, seinen Hut zu nehmen. Stattdessen gewannen katalanische Separatistenparteien hinzu.

Wie man es auch dreht und wendet: Die einzige „einfache“ Möglichkeit für eine Regierungsbildung mit einer Mehrheit von 208 Stimmen (absolute Mehrheit: 176) wäre eine große Koalition der Sozialisten mit der konservativen Volkspartei PP, die als Zweitplatzierte abschnitt. Ein Szenario, das sowohl Sánchez als auch PP-Chef Pablo Casado meiden wollen wie der Teufel das Weihwasser. Die Zeitung „La Vanguardia“ nannte Sánchez’ fehlgeschlagenen Versuch, mit der Neuwahl die chaotische Situation zu entzerren, eine „strategische Katastrophe“.

Apropos Teufel: Mit Blick auf das Erstarken der ultrarechten Vox warnte Barcelonas linksgerichtete Bürgermeisterin Ada Colau das gesamte Land bereits vor einer „Fahrt zur Hölle“. Und der Vize-Direktor der einflussreichen Zeitung „La Razón“, Pedro Narváez, klagte in einer TV-Talkrunde: „Wir stehen vor absolutem Chaos.“

Der smarte Frauenliebling Sánchez übte sich hingegen noch am Abend mit schönstem Zahnpasta-Lächeln in Zweckoptimismus. Unter dem Jubel seiner Anhänger versprach er, ab Montag daran zu arbeiten, die Blockade zu beenden. „Wir werden alle Parteien ansprechen bis auf jene, die Hass verbreiten“, sagte er in Anspielung auf Vox, die nun 52 Sitze im Parlament besetzen, mehr als doppelt so viele wie bisher. Doch auch im Sozialistenlager sprachen einige – schüchtern und hinter vorgehaltener Hand – von einem „Pyrrhussieg“, einem Erfolg, der eher einem Fehlschlag gleichkommt.

Denn der Triumph der Ultrarechten, mit denen wohl keiner in Madrid koalieren will, hat viele Bündnis-Szenarien ausradiert. Und er wirft Fragen auf – zum Beispiel, welche Rolle die Zuspitzung der Krise in der abtrünnigen Region Katalonien beim Vox-Zulauf gespielt hat. Denn in Spanien macht sich Nationalismus breit: Von Santander bis Sevilla haben immer mehr Bürger den Unabhängigkeitskampf der Katalanen gründlich satt, der die Regierung in Madrid schon seit langem von anderen Themen ablenkt.

Auch werfen viele den Sozialisten vor, nicht hart genug gegen die gewalttätigen Proteste in Barcelona und gegen die aufmüpfige Regionalregierung durchzugreifen. Seit Jahren wehen an vielen Fenstern im Land spanische Flaggen – ein unmissverständliches Symbol dafür, was die meisten Spanier von den katalanischen Abspaltungsgelüsten halten. Da kommt ihnen einer wie Vox-Chef Santiago Abascal gerade recht: Der charismatische Stierkampffan möchte die separatistischen Parteien am liebsten ganz verbieten.

Der Quantensprung von Vox ist trotzdem erstaunlich, schien Spanien doch lange immun gegen rechtsextreme Formationen. Erst Ende 2013 gegründet, schaffte die Newcomer-Partei im April aus dem Stand den Sprung ins Nationalparlament, mit gut zehn Prozent. Am Sonntag wählte bereits jeder sechste Spanier die Gruppierung, die strikt gegen Migration aus Afrika vorgehen will und vor der Wahl mit frauenfeindlichen und homosexuellenfeindlichen Äußerungen auffiel. Podemos-Chef Pablo Iglesias brachte auf den Punkt, wie viel Zukunftsangst nun umgeht: „Spanien schläft schlechter mit mehr als 50 Rechtspopulisten im Parlament.“ Was nun, Spanien? Ist es doch „die Stunde der großen Koalition“, wie „El Mundo“ forderte? Bieito Rubido, der als Direktor der Zeitung „ABC“ engste Verbindungen zu den Konservativen unterhält, winkt ab: „Die PP weiß, dass sie von Vox verschlungen wird, wenn sie mit den Sozialisten zusammenarbeitet.“

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