Wachkoma-Patient in Frankreich Ein Tod, der nicht nur eine Familie spaltet

Paris · Der Wachkomapatient Vincent Lambert ist am Donnerstag gestorben — neun Tage nach der Einstellung der künstlichen Ernährung.

 Die Mutter Lamberts zeigt ihrem im Wachkoma liegenden Sohn im Juni 2014 im Krankenhaus ein Bild. Bis zuletzt hatten sie und ihr Mann gegen die Einstellung der künstlichen Ernährung ihres Sohnes gekämpft.

Die Mutter Lamberts zeigt ihrem im Wachkoma liegenden Sohn im Juni 2014 im Krankenhaus ein Bild. Bis zuletzt hatten sie und ihr Mann gegen die Einstellung der künstlichen Ernährung ihres Sohnes gekämpft.

Foto: dpa/L'union De Reims

Als die Behandlung von Vincent Lambert zuletzt eingestellt wurde, war klar: Nun ist es nur noch eine Frage der Zeit. Jetzt ist Frankreichs wohl bekanntester Wachkoma-Patient gestorben – nach fast elf Jahren im Krankenhaus. Doch ob das wirklich das Ende der dramatischen Geschichte ist, bleibt offen.

Zuvor hatte es ein dramatisches juristisches Tauziehen um den Behandlungsstopp gegeben. Der 42-Jährige starb am Donnerstagmorgen im Klinikum Reims – neun Tage nach der Einstellung der künstlichen Ernährung. Der tragische Fall hat nicht nur Lamberts Familie zerrissen, sondern auch Frankreich gespalten. Ein heftiger Streit um das Thema Sterbehilfe war entbrannt. Die Anwälte der Eltern bezeichnen den Tod ihres Sohnes als „Verbrechen des Staates“.

Lambert war im Jahr 2008 bei einem Verkehrsunfall verunglückt und hatte sich schwer am Kopf verletzt. Er befand sich seitdem in einer Art Wachkoma. Die katholischen Eltern wollten den Tod ihres Sohnes mit aller Macht verhindern und klagten sich durch alle Instanzen. Sie scheiterten in Frankreich immer wieder – auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Lamberts Ehefrau setzte sich dafür ein, dass ihr Mann sterben konnte. Das würde seinem Wunsch entsprechen, argumentierte sie. Allerdings hatte Lambert keine Patientenverfügung, was den Fall umso komplizierter machte.

Zuletzt hatte Frankreichs oberstes Gericht nach dem zermürbenden Rechtsstreit den Weg für einen erneuten Stopp der Behandlung Lamberts freigemacht. Die künstliche Ernährung war am vergangenen Dienstag eingestellt worden. Sie war bereits im Mai für einige Stunden gestoppt worden. Ein französisches Berufungsgericht hatte damals die Wiederaufnahme angeordnet.

Am Montag hatten Lamberts Eltern schließlich angekündigt, nicht weiter juristisch gegen den Behandlungsstopp vorzugehen. Doch ob der Streit nun vorbei ist und sich die Familie vielleicht sogar versöhnen wird, ist offen. Die Eltern haben bereits eine Klage gegen den Arzt Lamberts eingereicht. Sie werfen dem Mediziner vor, ihren Sohn ermordet zu haben. Auf die Würde eines behinderten Menschen sei keine Rücksicht genommen worden. Der Tod ihres Sohnes und die Einstellung der Behandlung seien ein „schändlicher Fehler“.

Die zuständige Staatsanwaltschaft machte hingegen deutlich, keine Untersuchung wegen Mordes gegen den behandelnden Arzt einzuleiten. Stattdessen leite der Staatsanwalt von Reims, Matthieu Bourrette, eine Untersuchung zur Klärung der Todesursache ein und ordnete eine Obduktion an.

Für Vincent Lambert endete die tragische Geschichte am Donnerstagmorgen im Krankenhaus. Er sei um 8.24 Uhr gestorben, sagte sein Neffe François Lambert französischen Medien. Er sei erleichtert nach all den Jahren des Leidens.

Am Mittwochabend hatten sich noch rund 300 Menschen vor der Kirche Saint-Sulpice in Paris versammelt, um gemeinsam für Lambert zu beten. Sie prangerten die Einstellung der Versorgung an. In den Fall hatten sich immer wieder Vertreter aus Politik und Kirche auf höchster Ebene eingeschaltet. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte bereits im Mai erklärt, die Entscheidung der Gerichte zu akzeptieren und dem Urteil der Ärzte zu vertrauen.

Aus der katholischen Kirche kamen andere Töne. „Wir waren traurig, die Nachricht von Vincent Lamberts Tod zu hören“, erklärte Papst-Sprecher Alessandro Gisotti. Gott sei der einzige Herr des Lebens vom Anfang bis zu seinem natürlichen Ende. „Und wir haben die Pflicht, es immer zu schützen und der Kultur der Verschwendung nicht nachzugeben“, betonte er.

Lamberts Hirn war bei dem Unfall schwerst geschädigt worden. Als Folge dessen befand er sich in einem vegetativen Zustand, einer Art Wachkoma. Das heißt in der Regel, dass Patienten zwar die Augen offen haben und wach erscheinen, aber keinen Gegenstand fixieren und auch nicht mit Sprache oder Bewegungen auf äußere Einflüsse reagieren. Das Stammhirn ist aber noch aktiv, Blutdruck, Atmung und viele Reflexe werden weiter geregelt.

 Lamberts Ehefrau Rachel kommen die Tränen, als sie gestern mit Journalisten spricht. Sie hatte sich dafür eingesetzt, dass die Ernährung eingestellt wird.

Lamberts Ehefrau Rachel kommen die Tränen, als sie gestern mit Journalisten spricht. Sie hatte sich dafür eingesetzt, dass die Ernährung eingestellt wird.

Foto: dpa/Thibault Camus

In Lamberts Fall kamen Ärzte zu dem Ergebnis, dass dieser Zustand irreversibel – also unumkehrbar – sei. Die Eltern sehen das anders und argumentieren, ihr Sohn sei lediglich schwer behindert gewesen und brauche dauerhafte Pflege.

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