Angriff auf die Ukraine Es ist Krieg – und nun?
Analyse | Düsseldorf/Saarbrücken · Die Zukunft lässt sich bekanntermaßen nicht vorhersagen. Aber der Angriff Russlands auf die Ukraine ist wie ein Dominostein, der eine politisch-wirtschaftliche Kettenreaktion in Gang setzt. Fünf Thesen, wie es weitergeht.
Im Rückblick lagen viele falsch. Einer der wenigen, die das selbstkritisch artikulieren, ist Vizekanzler Robert Habeck. Er räumt ein, „dass der Westen, Europa, Deutschland zu naiv waren“. Die deutsche Außenpolitik der letzten Jahrzehnte ist an einer weiteren entscheidenden Stelle gescheitert, denn auch die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan war ein Fiasko. Spätestens jetzt sollte der Westen jegliche Naivität ablegen und sich ehrlich machen. Fünf Thesen versuchen das – auf die Gefahr hin, falsch zu liegen.
Der Krieg dauert lange.
„Wir werden siegen“, hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärt. Das allerdings ist unwahrscheinlich. Denn weder die Nato noch die USA lassen den Hauch einer Bereitschaft erkennen, in den Krieg einzutreten. Das wird den Westen nicht hindern, die Ukraine mit militärischen Informationen, mit Geld, Waffen, Gerät und im Zweifel Söldnern zu unterstützen. Vieles wird inoffiziell erfolgen, so war es schon in vielen Kriegen, auch in Afghanistan. Die Ukraine wird trotzdem nicht siegen können, aber den Krieg wird das verlängern. Zugleich wird Russland nicht weiter nach Westen vordringen. Denn ein Einmarsch ins Baltikum, nach Polen oder Rumänien würde einen Weltkrieg auslösen, weil die Nato sich nicht entziehen könnte. Wladimir Putin, im Kalten Krieg groß geworden, wird das Gleichgewicht halten wollen, um keinen Gegenschlag der Nato auszulösen.

„Kampfhandlungen und Raketenangriffe“ - Russland greift die Ukraine an
China annektiert Taiwan.
Wenn dieses Gleichgewicht hält, spricht für China kaum etwas dagegen, sich Taiwan endlich einzuverleiben. Sanktionen wären noch schwieriger umzusetzen als bei Russland, denn die Volksrepublik ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt mit mehr als 1,4 Milliarden Kundinnen und Kunden für Produkte aus aller Welt. Zum Start der Olympischen Spiele haben sich Putin und Xi Jinping gerade in Peking ausführlich beraten und ihre „grenzenlose Freundschaft“ erklärt. Ob der russische Präsident seinem chinesischen Amtskollegen seine Pläne vorab schon ausgebreitet hat? Jedenfalls würde eine gleichzeitige Konfrontation in der Ukraine und in Taiwan den Westen vor enorme Herausforderungen stellen. Von der Uno wäre wenig zu erwarten: China und Russland sind neben den USA, Frankreich und Großbritannien ständige Mitglieder des Sicherheitsrats.
Die Sanktionen wirken nicht.
Russland werde „einen hohen Preis“ zahlen, kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz an. Dessen Höhe dürfte Putin indes einkalkuliert haben. Der Westen will Russland mit Sanktionen wirtschaftlich treffen, um ein Einlenken zu erzwingen – aber das wird nicht gelingen. Der russische Präsident hat die Szenarien durchgespielt und kennt alle Sanktionsmöglichkeiten. Hinzu kommt, dass er im Osten über einen Partner mit enormer Wirtschaftskraft verfügt. China wird sich nicht direkt einmischen, aber Russland diskret zur Seite stehen. Die Sanktionen werden mittelbar vor allem Deutschland als wichtigsten Handelspartner Russlands in Europa belasten.
Putin dreht den Gashahn zu.
Gut die Hälfte des nach Deutschland importierten Gases stammt aus Russland, geliefert wird über Pipelines. Auch in Sowjetzeiten wurde der Gashahn nie zugedreht, selbst auf den Höhepunkten des Kalten Krieges nicht. Doch es ist das einzige Machtinstrument, mit dem Russland den Westen empfindlich treffen kann. Und anders als damals gibt es eine Alternative zu den Kunden im Westen, nämlich China. Deutschland könnte das russische Gas auch nicht über Nacht ersetzen, denn für LNG-Gas fehlen noch die Terminals. Dagegen kann Putin über Nacht die Pipelines schließen. Das ist seine stärkste Karte; die zweitstärkste ist der Preis: „Willkommen in der schönen neuen Welt, in der die Europäer sehr bald 2000 Euro für 1000 Kubikmeter natürliches Gas bezahlen werden“, twitterte der Ex-Interimspräsident und Putin-Vertraute Dmitri Medwedew bereits am Dienstag, als sich der Stopp für die neue Pipeline Nord Stream 2 ankündigte. Wenn er recht behält, würde sich der Preis allein deswegen mehr als verdoppeln.
Eine Rezession kommt.
Die Energiepreise steigen, zumal der Ukraine-Krieg nicht der einzige Faktor ist. Die Bundesregierung kann das nicht komplett kompensieren. Vielleicht fordert sie die Menschen bald auf, den Verbrauch einzuschränken. Die Heizperiode endet zwar in Kürze, aber auch ein Grundrecht auf ein heißes Duschbad pro Tag gibt es nicht. Auf dem Höhepunkt der Ölkrise gab es 1973 in Westdeutschland vier autofreie Sonntage. Wenn die Menschen ihr Geld zusammenhalten, die Unternehmen mit sehr viel höheren Kosten produzieren und der Export politisch beschränkt wird, ist eine Rezession absehbar. Davon wird gesprochen, wenn die Wirtschaftsleistung für mindestens zwei Quartale in Folge schrumpft. Da das sinkende Steuereinnahmen nach sich zieht, muss die Ampelkoalition viele Vorhaben prüfen. Deutschland wäre Russland zwar nicht so ausgeliefert, wenn schon heute erneuerbare Energien den größten Anteil an der Versorgung hätten. Aber ob der teure Umbau unter diesen Vorzeichen so wie angekündigt zu finanzieren und umzusetzen ist, werden die nächsten Monate zeigen.