Ukraine-Affäre Das Prinzip Trump(s) bröckelt zum ersten Mal

Washington · Er könne jemanden mitten auf der Fifth Avenue in New York erschießen und würde keine Wähler verlieren, formulierte Donald Trump im Januar 2016 bei einer Wahlkampf-Veranstaltung in Iowa. Kein Satz repräsentiert wohl besser das politische Selbstverständnis des US-Präsidenten, der sich nun – nach der glimpflich überstandenen Russland-Affäre – in der größten Krise seiner Amtszeit befindet.

 Seine „Fake News“-Taktik klappt in Sachen Ukraine wohl nicht: US-Präsident Donald Trump.

Seine „Fake News“-Taktik klappt in Sachen Ukraine wohl nicht: US-Präsident Donald Trump.

Foto: dpa/Evan Vucci

Während die US-Demokraten, aber auch unabhängige Rechtsexperten angesichts des inhaltlich bekannt gewordenen Telefonats von Trump mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj einen eklatanten Verstoß gegen die Dienstpflichten sehen, gab sich der Präsident am Mittwoch völlig ungerührt. „Alles nur Schwindel“, sagte er zu den Vorwürfen in seiner üblichen Verallgemeinerungs-Sprache.

Damit erlebte die Nation wieder einmal ein Musterbeispiel für das Prinzip Trump. Wird der Präsident angegriffen, ist es eine „Hexenjagd“, „Fake news“ oder ein „Schwindel“. Nur ganz selten wagt sich der 73-Jährige in eine faktenbasierte, rationale Auseinandersetzung. Und wenn er es tut, steigt das Lügen-Barometer der Washington Post, die mittlerweile fast 12 000 Unwahrheiten Trumps aufgelistet hat, weiter an.

Nun ruft seit der Rekonstruktion des Telefonats die Unterstützer-Schar des Präsidenten fast unisono, es habe doch in dem Gespräch kein „Geld für Informationen“-Ultimatum Trumps gegeben. Unterdessen sammelte das Trump-Wahlkampfcamp schon über eine Million Dollar Spenden in den ersten drei Stunden nach der Ankündigung der Demokraten, Ermittlungen für ein Amtsenthebungs-Verfahren zu starten. Die Strategie Trumps ist nun schnell klar geworden: Die öffentliche Debatte nur noch auf die Frage zu konzentrieren, ob er Kiew mit der Rückhaltung von Militärhilfen erpresst hat – oder ob die zeitlichen Abläufe zu den erst am 11. September freigegebenen Zahlungen nur ein Zufall gewesen sind.

Wie einst Bill Clinton während seines am Ende gescheiterten Amtsenthebungs-Verfahrens zur Verteidigung seiner Lügen die Definition unters Volks brachte, oraler Sex im Oval Office sei doch eigentlich gar kein Sex, so betreiben Trump und Co. 20 Jahre später ebenfalls Wortklauberei. Das Telefonat macht jedoch klar, wie kühn die Relativierungsversuche des Präsidenten sind. Nachdem Selenskyj fast schon verzweifelt um Militärhilfen bittet, die Trump heimlich zurückhalten ließ, kommt sofort die Forderung Trumps, Kiew möge sich Joe Biden und dessen Sohn annehmen. Dieser Kontext ist überwältigend – und auch so demaskierend. Auch Trumps gebetsmühlenhafter Vortrag, es sei ihm vor allem um die Bekämpfung von Korruption in der Ukraine gegangen, ergibt keinen Sinn. Bis heute hat er kein Interesse gezeigt, was Korruption in Russland, Nordkorea oder Ägypten angeht. Je klarer die Indizien gegen den US-Präsidenten sprechen, umso verwegener werden seine Konter. Auch dies gehört seit langem zum Prinzip Trump.

Alle Abwehrversuche konnten neues Unheil indes nicht abwürgen. Das am Donnerstag veröffentlichte explosive Memorandum eines „Whistleblowers“ aus dem Geheimdienstbereich deutet darauf hin, dass Juristen und hohe Beamte des Weißen Hauses versuchten, den Inhalt des so heiklen Telefonats zu vertuschen. Abgeordnete sprachen angesichts des freigegebenen Informanten-Briefs von neuen „verheerenden und schockierenden Nachrichten“ für Trump. Darunter auch die ersten Republikaner. Und viele erinnern sich in Washington: Bei „Watergate“ wurde Richard Nixon vor allem wegen seiner Vertuschungs-Aktivitäten angesichts des Einbruchs im Hauptquartier der US-Demokraten zum Rücktritt gezwungen.

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