Militärische Manöver Erdogan lässt aufmarschieren

Akcakale · Das amerikanische Militär zieht sich aus Syrien zurück und ermöglicht so das Einrücken türkischer Truppen. Kurdenmilizen sprechen von Verrat.

 Artilleriegeschütze der türkischen Streitkräfte werden am Montag an ihre neuen Positionen nahe der Grenze zu Syrien gebracht.

Artilleriegeschütze der türkischen Streitkräfte werden am Montag an ihre neuen Positionen nahe der Grenze zu Syrien gebracht.

Foto: dpa/Uncredited

Türkische Panzer und Artilleriegeschütze sind bereits in Stellung: Bei der türkischen Stadt Akcakale an der Grenze zu Syrien lässt Recep Tayyip Erdogan seine Armee aufmarschieren. Seit Tagen kündigt der türkische Präsident an, er werde seine Truppen über die Grenze schicken – jetzt steht der Einmarsch möglicherweise unmittelbar bevor: Am Montagmorgen zogen sich amerikanische Soldaten von der syrischen Seite der Grenze zurück und erklärten, sie würden ihre kurdischen Verbündeten nicht gegen die Türken verteidigen. Nach mehr als acht Jahren Krieg beginnt in Syrien ein neues Kapitel des Konfliktes.

Der Rückzug der Amerikaner ist weit mehr als nur die Verlegung von einigen hundert Soldaten: Er demonstriert eine grundsätzliche Neuausrichtung der US-Politik in Syrien. Präsident Donald Trump schrieb via Kurznachrichtendienst Twitter, er wolle „aus diesen lächerlichen endlosen Kriegen“ herauskommen und die verbliebenen amerikanischen Soldaten nach Hause bringen. Das soll nicht zuletzt seine Chancen bei der US-Wahl im kommenden Jahr verbessern. Das entstehende Vakuum soll die Türkei füllen.

Erdogans geplanter Einmarsch richtet sich vor allem gegen die Kurdenmiliz YPG, die bisher mit den USA verbündet war, aber von der Türkei als Bedrohung betrachtet wird. Mit der Intervention will die Türkei die YPG aus dem Gebiet entlang ihrer Grenze vertreiben. Dabei sollen Ankaratreue syrische Milizen mitwirken. Ein türkischer Vorstoß bei Akcakale und Ceylanpinar würde einen Keil in das von der YPG dominierte Gebiet in Syrien treiben. Bei zwei vorherigen Interventionen hatte Erdogans Armee die Gegenden um Jarablus und Afrin westlich des Euphrat besetzt.

Die EU hat die Türkei vor einem Militäreinsatz in Syrien gewarnt. „Weitere bewaffnete Auseinandersetzungen werden nicht nur das Leiden der Zivilbevölkerung verschlimmern und zu massiven Vertreibungen führen, sondern auch die aktuellen politischen Bemühungen gefährden“, sagte die Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini.

Am Sonntagabend gab Trump dem türkischen Präsidenten grünes Licht für eine Intervention östlich des Euphrat – obwohl Washington diesen Einmarsch bisher verhindern wollte. Das Weiße Haus erklärte den Rückzug der Truppen aus dem Einmarschgebiet. Ab sofort sei die Türkei für die Bewachung von mehreren zehntausend Anhängern des Islamischen Staates verantwortlich, die in Lagern der YPG sitzen – und damit auch dafür, ein Wiedererstarken des IS zu verhindern. Trump hatte bereits im Dezember den Rück­zug der US-Soldaten verkündet, war in der eigenen Regierung aber auf Widerstand gestoßen. Die Folge war ein langsamer Truppenabbau – und eine wachsende Verärgerung der Türkei. Jetzt hat Erdogan von Trump bekommen, was er wollte. Der US-Präsident will sich als Sieger über den IS feiern lassen, ohne für die weiteren Entwicklungen verantwortlich zu sein.

Die YPG hatte mit den Amerikanern gegen den Islamischen Staat gekämpft und dabei tausende Kämpfer verloren. Im Gegenzug erwarteten die Kurden amerikanischen Schutz entlang der türkischen Grenze. Nun sehen sie sich von den USA getäuscht. Amerika habe sich nicht an seine Verpflichtungen gehalten, erklärte die von den Kurden dominierte Streitmacht SDF. Besonders verbittert die Kurdenkämpfer, dass sie in den vergangenen Wochen viele ihrer Verteidigungsstellungen an der türkischen Grenze zerstört hatten, weil die USA erklärten, damit werde ein türkischer Einmarsch verhindert. Nun steht die YPG vor der anstehenden Intervention zusätzlich geschwächt da.

 Türkei kündigt Offensive in Syrien an

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Foto: SZ/Müller, Astrid

Als Reaktion dürfte sich die YPG um eine Verständigung mit Damaskus bemühen, das seit Jahren keinen Zugriff mehr auf Gebiete östlich des Euphrat hat. Der Abzug der Amerikaner ist eine Chance für Präsident Baschar al-Assad, seine Macht auf Ost-Syrien auszudehnen. Assad, ein Erzfeind Erdogans, strebt den raschen Rückzug der türkischen Truppen aus seinem Land an. Wenn sich Kurden und Assad auf eine Zusammenarbeit verständigen, könnte es schwierig werden für die Türkei.

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