SZ-Jahresrückblick: Greta, Trump und Xi Von alten Mächten und einer neuen Kraft
Die Schülerin Greta Thunberg wurde 2019 zur weltweiten Ikone. Ihre schneidenden Worte gegen den Klimawandel erreichten die Menschen, aber nicht alle Politiker.
Sie trotzen auf den Straßen von Hongkong der starken Hand Pekings. Sie ringen nach wochenlangen Protesten der chilenischen Regierung eine neue Verfassung ab. Sie verweigern durch ihre Proteste dem Sozialisten Morales in Bolivien eine weitere Amtszeit. Sie stehen im Iran gegen die Führung der islamischen Republik auf. Viele Menschen haben in diesem Jahr mit ihrer lauten Stimme, ihren Protestschildern, ihrer Wut und ihrer schieren Zahl Politik gemacht. Eine Stimme war gar nicht laut, aber besonders vernehmbar. „I want you to panic“ („Ich will, dass Ihr panisch werdet)“, sagte sie Anfang des Jahres eindringlich, „How dare you“ („Wie könnt Ihr es wagen“), stieß sie am Ende voller Zorn aus. Niemand war überrascht, als das US-Magazin Newsweek Greta Thunberg ihren Titel „Person des Jahres“ verlieh – die Schwedin ist erst 16.
Die Bilder des Jahres zeigen die Schülerin mit der oft skeptisch nach oben gezogenen Braue beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos, im Europäischen Parlament, vor der Uno, an der Spitze von Massendemos, die sie mit ihrem Mitte 2018 allein begonnenen „Schulstreik für das Klima“ ausgelöst hat, und auf einer Segelyacht, die sie (wenn auch nicht ihre Mitstreiter) weitgehend klimaneutral nach New York bringt. Man sieht sie mit Ex-US-Präsident Obama, Filmstars wie Leonardo die Caprio, mit Angela Merkel, dem Papst. Ein Foto zeigt sie sogar mit dem US-Präsidenten – doch darauf kann sie am Rande der Uno-Vollversammlung einem vorbeieilenden Donald Trump nur düster nachblicken. Die junge Aktivistin mag die Menschen weltweit und auch ein wenig die europäischen Politiker beeindrucken. Den mächtigsten Mann der Welt erreicht sie nicht. Der US-Präsident nennt sie auf Twitter nur ein „glückliches junges Mädchen (…), das sich auf eine fröhliche, wunderbare Zukunft freut“. Der Immobilien-Milliardär aus New York ist bekannt dafür, sich seine eigene Realität zu schaffen – der menschengemachte Klimawandel zählt nicht dazu. Trump steht für jene Mächte in der Welt, an denen die Wut eines großen Teils der Bevölkerung abprallt – weil sie selbst die Wahrnehmung des anderen Teils bestimmen. Das zeigt sich auch in der Außenpolitik, wo Trump neben wenigen Erfolgen (als den er etwa den Tod des IS-Chefs Abu Bakr al-Bagdadi feiert) selbst die Preisgabe von US-Positionen im Syrien-Konflikt an die Türkei und Russland als Triumph verkaufen kann. Das trifft vor allem auf die Innenpolitik zu, wo etwas, was sonst als größte Krise einer Präsidentschaft gelten müsste, Trumps Wiederwahl sogar noch wahrscheinlicher macht: das Amtsenthebungsverfahren. Die Belege, dass er sein Amt missbrauchte, indem er den neu gewählten ukrainischen Präsidenten, den Schauspieler Wolodymyr Selenskyj, zu Ermittlungen gegen den demokratischen Präsidentschaftsbewerber Joe Biden anhielt, sind überwältigend. Aber gut die Hälfte der US-Öffentlichkeit lehnt den Impeachment-Prozess, den das demokratisch dominierte Repräsentantenhaus anstrengt (erst der dritte der US-Geschichte), ab. Viele Amerikaner folgen der täglich über Twitter und Trumps Haus-Sender Fox-News verbreiteten Lesart, hier solle eine Wahl ungeschehen gemacht werden. So hatte Trump schon im März nach der überstandenen Untersuchung zu Wahl-Absprachen mit Russland getönt. Seine an Trumps ständige Grenzüberschreitungen gewöhnte Wählerbasis hält – und der Präsident füttert sie mit symbolisch aufgeladenen Alleingängen: Rechte Militärs fängt er mit der Begnadigung verurteilter Kriegsverbrecher der US-Armee ein, evangelikale Christen mit der Anerkennung der jüdischen Siedlungspolitik im biblischen Westjordanland.
Und er macht seine Ankündigung wahr: Die USA stellen offiziell den Antrag auf Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen. Er wird im November 2020 wirksam. Ein Bruder im Geiste gefällt sich im Spott über Greta Thunberg und droht, es Trump beim Pariser Abkommen gleichzutun: Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro. Als die Welt voller Sorge riesige Brände im Amazonas-Regenwald registriert, wirft er Umweltschützern vor, diese als PR-Gag entzündet zu haben. Er sieht vor allem das wirtschaftliche Potenzial des Regenwaldes.
Die Trumps, die Bolsonaros, aber auch Mächtige wie Russlands Wladimir Putin, Kronprinz Mohammed bin Salman in Saudi Arabien, Präsident Xi Jingping in China haben eine andere Agenda als die Bürgerbewegungen. Und sie repräsentieren nicht mehr die „bipolare Welt, die wir kannten“, sagt UN-Generalsekretär António Guterres. „Aber es ist auch keine multipolare Welt. Es ist eine chaotische Welt.“
Am strategischsten scheint darin Putin vorzugehen, der den Einfluss seines wirtschaftlich zweitklassigen Landes im Nahen Osten ausbaut – vor allem aber der Chinese Xi. Es klingt wie eine Fußnote: Im Dezember sagt er dem kleinen El Salvador die Finanzierung einer neuen Nationalbibliothek und eines Stadions zu – ohne Rückzahlung. Jetzt also auch Mittelamerika! Seit Jahren investiert Peking in Afrika und in sein Projekt einer Seidenstraße nach Europa. Es erhält dafür oft Ergebenheit oder zumindest Zurückhaltung. „Keine Macht kann den Fortschritt des chinesischen Volkes und der Nation aufhalten“, verkündet Xi zum 70. Gründungstag der Volksrepublik am 1. Oktober. Das müssen selbst Fußballer wie Mesut Özil erfahren. Einem Tweet des Spielers von Arsenal London gegen die Verfolgung der muslimischen Minderheit der Uiguren in China folgt ein Kotau des Vereins. Auch die Kritik Deutschlands am brutalen Vorgehen gegen die Demonstranten in Hongkong ist verhalten. Immerhin kann sich die von Frankreichs Präsident Macron für hirntot erklärte Nato einigen, China zur möglichen Bedrohung zu erklären.
Spannend allerdings: Zwar sind Kohlekraftwerke Pekings Exportschlager. Experten glauben aber, dass China selbst in fünf Jahren das Wachstum des CO2-Ausstoßes stoppen kann – dank massiver Investitionen in erneuerbare Energien. Als sich die Welt auf der Klimakonferenz im Dezember in Madrid trifft, wo Greta Thunberg der Star ist, tritt Peking auch keineswegs als Bremser auf. Dennoch einigt sich die Konferenz nach 13 Tagen nur auf eine weiche Zusage, die Klimaziele im kommenden Jahr zu verschärfen. Eine Enttäuschung.
Das „How dare you“, das Greta in New York ausgerufen hatte – es richtet sich eben nicht nur gegen die Despoten und gewählten Klimaleugner. Es trifft auch jene europäischen Politiker, die um den menschengemachten Klimawandel wissen, aber nicht genügend tun, gegen „leere Worte“. „Wir werden Euch das nicht durchgehen lassen!“, sagt Greta. Ihre Sätze hallen nach, als sie im Dezember im Zug durch Deutschland ins heimische Schweden fährt. Hunderttausende junge Menschen haben sie – und behalten sie – im Ohr.