Studien zeigen: Das ist gut fürs seelische Gleichgewicht Die Macht der Nostalgie
Saarbrücken · Früher war alles besser. Die Luft sauberer, das Fernsehen intelligenter, die Bahn pünktlicher. Was natürlich Quatsch ist. Die Luft war damals noch dreckiger, das Fernsehen mindestens genauso flach und die Bahn unzuverlässig wie eh und je.
Nur baut unser Gedächtnis gerne einen Filter ein – negative Erinnerungen werden aussortiert, positive rutschen durch und setzen sich fest.
Der Blick zurück gerät damit allzu rosig, verklärt gewissermaßen das Gestern, und wächst sich bei vielen, gerade in der Weihnachtszeit, zu einer unstillbaren Sehnsucht aus: Nostalgie nennt sich diese bittersüße Gefühlslage – und sie ist trotz Vergangenheitsklitterung wichtiger fürs seelische Gleichgewicht als gedacht.
Macht Nostalgie doch, so lange man sich ihr nicht völlig hingibt, eher glücklich als traurig. Psychologische Studien der Universitäten von Southampton und Missouri belegen etwa, dass nostalgische Anwandlungen sogar Auswege aus emotionalen Krisen zeigen können. Gedanken an schöne Momente oder besondere Begegnungen hellen demnach die Stimmung auf, vertreiben Ängste, spenden Kraft. Probanden verhielten sich nach entsprechenden Experimenten entspannter und schauten optimistischer in die Zukunft, die vertraute Vergangenheit ermöglicht es ihnen, sich innerlich zu stabilisieren. Nostalgie funktioniert also wie eine Art Korrektiv, wenn es gerade mal leicht hakt im seelischen Getriebe.
Der sentimentale Blick zurück reinigt aber nicht nur den gegenwärtigen Gefühlshaushalt, er wärmt tatsächlich körperlich: Forscher der chinesischen Sun-Yatsen-Universität fanden heraus, dass es Studienteilnehmern, die sich in nostalgischen Erinnerungen ergingen, wärmer wurde. Ihre Toleranz gegenüber Kälte stieg, sie schätzten die Raumtemperatur bis zu vier Grad höher ein, als sie tatsächlich war. Nostalgie wirkt also auch wie eine Heizung für die Seele, wie ein wärmender Schutzmantel, besonders in der dunklen Jahreszeit.
Der Schweizer Arzt Johannes Hofer formte 1688 den Begriff Nostalgie aus den griechischen Wörtern „nóstos“ für Rückkehr und „álgos“ für Schmerz, für Menschen, die sich fern der Heimat verdingten und an Heimweh erkrankten, sich melancholisch der Seelenpein ergaben, weder schliefen noch aßen.
Erst viel später wurde die Nostalgie neu bewertet, ihr Potenzial erkannt, für den einzelnen, aber auch für die Gesellschaft. „Gemeinsame Erinnerungen sind der Klebstoff, der die fragile Gemeinschaft zusammenhält“, schreibt der Autor Daniel Rettig in seinem Buch „Die guten alten Zeiten – Warum Nostalgie uns glücklich macht“. In der Gruppe über vergangene Erlebnisse zu sprechen, stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl, es schafft eine Brücke auch über Jahre hinweg, in denen man sich aus den Augen verloren hatte.
Weil aber nur wenig reicht, um nostalgische Emotionen auszulösen, ein Duft, ein Geschmack, eine Melodie, kann dieses Gefühl auch benutzt werden, um zu überwältigen. Die Industrie macht längst gute Geschäfte mit der Nostalgie, packt den Konsumenten da, wo er fast wehrlos ist – bei seiner Sentimentalität. Wer wehmütig gestimmt ist, zahlt gerne, weil er sich ein Stück Jugend erkauft. Das zeigen die jüngsten Retro-Trends, ob es Fernseh-Serien wie „Stranger Things“ sind, die die 80er wiederaufleben lassen, ob es Computerspiele betrifft oder Foto-Apps, die jedes Bild kunstvoll altern lassen. Nostalgie funktioniert, und sie verkauft.
Das hat leider auch die Politik erkannt. „Nostalgie gedeiht immer auf dem Boden des Wandels“, schreibt Rettig. Und gerade jetzt verändert sich die Welt gewaltig, bröckeln alte Gewissheiten. Die Bertelsmann Stiftung hat 2018 den Einfluss von Nostalgie auf die öffentliche Meinung in Europa untersucht und kommt zu dem bedenklichen Schluss: „Verweise auf eine bessere Vergangenheit werden besonders von Populisten geschickt eingesetzt, um Unzufriedenheit mit der Gegenwart und Angst vor der Zukunft zu schüren.“
US-Präsident Donald Trumps Wahlspruch „Make America great again“ beschwört die guten alten Zeiten, und auch der Brexit ist ohne rückwärtsgewandte Verklärung kaum denkbar.