Donald Tusk Der Mann, der Angela Merkel einsperrte

Brüssel · Donald Tusk tritt als Ratspräsident der EU ab. In Brüssel will der Mann, der die Staatenlenker so manches Mal zur Räson rief, aber bleiben. Und mächtig.

Sein Start als EU-Ratspräsident war holprig. Doch dann mauserte sich der Pole Donald Tusk zum Strippenzieher in Brüssel – geschätzt und gefürchtet.

Sein Start als EU-Ratspräsident war holprig. Doch dann mauserte sich der Pole Donald Tusk zum Strippenzieher in Brüssel – geschätzt und gefürchtet.

Foto: AP/Jean-Francois Badias

Seine letzte große Rede hat er inzwischen gehalten. Schweigen wird Donald Tusk dennoch nicht, wenn der Ratspräsident der EU am 1. Dezember sein Amt nach fünf Jahren verlässt. Denn der neue Schreibtisch des 62-jährigen früheren polnischen Ministerpräsidenten steht auch in Brüssel. Nur ein paar Straßen trennen das hochmoderne Ratsgebäude von der Zentrale der Europäischen Volkspartei (EVP), dem Dachverband von über 50 christdemokratischen Parteien in der EU. In dieser Woche wählen sie Tusk zu ihrem künftigen Vorsitzenden – ein machtvoller Job für einen Strippenzieher, der zwar immer auch für die Union sprach, aber doch viel mehr im Hintergrund wirkte.

Wie in jener Nacht auf den 12. Juli 2015, als die Eurozone unmittelbar vor dem Zusammenbruch stand. Es ging mal wieder um Griechenland und die Finanzierung des gewaltigen Schuldenberges. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der damalige Athener Regierungschef Alexis Tsipras stritten bis um vier Uhr morgens miteinander und wollten schon ohne Einigung auseinandergehen. Heute kann Tusk erzählen, was damals geschah: „Ich schloss die Tür und sagte ihnen: ‚Sorry, aber es ist ausgeschlossen, dass ihr diesen Raum verlasst, bevor ihr euch einig werdet.‘“ Weitere vier Stunden später gab es eine Einigung – ein „aGreekment“, wie Tusk schmunzelnd in Anlehnung an das englische „Agreement“ sagt.

Tusk war unbequem und bleibt es bis zum Schluss. Den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron attackierte er in seiner letzten Rede jüngst wegen dessen Forderung nach einer neuen Russlandpolitik („Nicht mit mir, Emmanuel“). Den britischen Brexiteers hielt er vor, ihr Land werde nach dem Austritt „ein zweitklassiger Spieler, während das wichtigste Schlachtfeld von China, den USA und der EU besetzt sein wird“.

Politisch ist Tusk ein Kind der Solidarnosc-Ära Anfang der 1980er Jahre in Polen. Er gründete den Studentenbund, in dem sich die jungen Gegner des kommunistischen Regimes versammelten. Während der Streiks der Werftarbeiter in seiner Geburtsstadt Danzig arbeitete er als Journalist, bekam nach der Verhängung des Kriegsrechtes 1981 Berufsverbot. Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Staates gründete er die liberalkonservative Partei und verlor 2005 die Stichwahl um das Präsidentenamt – gegen Lech Kaczynski, den inzwischen verstorbenen Zwillingsbruder des heutigen PiS-Parteichefs Jaroslaw. Die Revanche folgte zwei Jahre darauf, als Tusk gegen letzteren im Kampf um den Stuhl des Premierministers gewann. Tusk bereitete den Beitritt Polens in die EU vor, normalisierte die Beziehungen zu Deutschland. 2014 wählten ihn die Staats- und Regierungschefs zum Ratspräsidenten der Union. Seine Aufgabe: Gipfeltreffen leiten und Kompromisslinien finden. Sein Start in Brüssel war hart.

Denn Tusk musste erst Englisch lernen, was er inzwischen fließend beherrscht. Monatelang tauchte er kaum auf, bis er sprachlich sicher genug war, sich zu Wort zu melden. Und das tat er stets mit Macht – und ohne jede Scheu vor Konfrontation. Diplomatie blieb nicht seine Stärke – genau deshalb wurde Tusk als politischer Gegner geschätzt und gefürchtet. Jahrelang sorgte er dafür, dass die Bilanzen am Ende der EU-Gipfel stets einen Satz zum Bre­xit enthielten, mit dem er den Briten sagte: „Sollten Sie Ihre Meinung zum Austritt ändern, wird die Europäische Union das Vereinigte Königreich mit offenen Armen empfangen.“ Den Brexit hat er vom ersten Tag an bekämpft.

Lange hatte der scheidende Ratspräsident überlegt, dem Ruf der polnischen Opposition zu folgen und bei den nächsten Präsidentschaftswahlen anzutreten. Er entschied sich dagegen, weil er sich „durch schwierige, unpopuläre Entscheidungen belastet“ fühlt. Tusk hatte vor Jahren die Rente mit 67 eingeführt. Noch gravierender dürfte sein, dass derzeit in Warschau gegen ihn und seine Nachfolgerin Ewa Kopacz ein Verfahren wegen organisiertem Mehrwertsteuerbetrug in Millionenhöhe vorbereitet wird.

Nun rückt er an der Spitze der europäischen Christdemokraten. Und es ist absehbar, dass sich Donald Tusk auch künftig nicht nur in Brüssel mit deutlichen Worten einmischen wird.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort