Mehr Infizierte in China Die Corona-Krise wird immer größer

Peking · China räumt eine höhere Zahl von Opfern der Epidemie ein. Während sie weltweit weiter Wellen schlägt, gibt es aus Deutschland gute Nachrichten.

Mit Maske in den Supermarkt – Alltag im chinesischen Wuhan. Wegen einer neuen Zählweise stieg die Zahl der Infizierten im Land sprunghaft an.

Mit Maske in den Supermarkt – Alltag im chinesischen Wuhan. Wegen einer neuen Zählweise stieg die Zahl der Infizierten im Land sprunghaft an.

Foto: AP

Erst einmal herrschen Schock und Verwirrung. Selbst die nationale Gesundheitskommission in Peking setzt die allmorgendliche Bekanntgabe der landesweiten Virusinfektionen und Todesfälle aus und muss erstmal stundenlang beraten. Was war passiert? Über Nacht hatte die schwer vom Coronavirus betroffene Provinz Hubei eingeräumt, dass es doch viel mehr Infizierte gibt. Überraschend werden 15 000 Virusfälle mehr gemeldet, obwohl der Anstieg in den Tagen zuvor meist bei 2000 gelegen hatte. Damit klettert die Zahl landesweit auf fast 60 000 Virusfälle – und mehr als 1300 Tote. Von einer Stabilisierung, die die Weltgesundheitsorganisation noch am Vortag ausgemacht haben wollte, ist keine Rede mehr.

Der dramatische Anstieg erklärt sich aus einer neuen Methode, wie die Virusfälle gezählt werden. Bisher war ein DNA-Test auf das Virus Sars-CoV-2 für eine offizielle Bestätigung nötig. Nun reicht dafür auch eine klinische Diagnose auf die Lungenkrankheit Covid-19 aus. Damit ist gemeint, dass ein Arzt eine Infektion auch anhand der Symptome, einer Computertomographie und der epidemiologischen Vorgeschichte eines Patienten bestätigen kann.

Der Grund: Der DNA-Test auf das Virus schlage „nur bei 30 bis 50 Prozent“ der Infizierten an, erklärt Tong Zhaohui von der Expertengruppe im Kampf gegen die Lungenkrankheit dem Staatsfernsehen. Deswegen sei es notwendig, auch auf die klinische Diagnose zu setzen. So waren zuvor immer wieder Patienten negativ getestet worden, obwohl sie mit dem Virus angesteckt waren.

Damit dürfte die Statistik zwar näher an die Realität rücken. Doch gab es bisher schon wenig Vertrauen in die chinesischen Informationen über den Ausbruch, leidet Chinas Glaubwürdigkeit durch das Hin und Her in der Berichterstattung nun erneut. „Transparenz sieht anders aus“, sagt ein Diplomat. Der plötzliche Anstieg schreckt das Land auch ausgerechnet zu einem Zeitpunkt auf, an dem die chinesische Führung eigentlich langsam zur Normalität zurückkehren wollte. Da das Riesenreich seit drei Wochen halb lahmgelegt ist, fürchtet die Regierung zunehmend um Schaden für die Wirtschaft. Einige lokale Maßnahmen, das Virus einzudämmen, gehen den Verantwortlichen in Peking zu weit – obwohl der Höhepunkt der Infektionen noch nicht einmal erreicht ist. Anfang der Woche sollten die wegen des Virus verlängerten Ferien zum chinesischen Neujahrsfest eigentlich enden, aber Büros und Fabriken zögern, den Betrieb wieder aufzunehmen.

Politisch wird in Hubei und der Provinzhauptstadt Wuhan unterdessen aufgeräumt. Die Parteichefs der Provinz und der Metropole Wuhan wurden gefeuert – so wie vorher schon die Verantwortlichen der Gesundheitsbehörden. Die chinesische Führung ist unzufrieden mit der langsamen Reaktion der lokalen Behörden, die dazu beigetragen hat, dass die Epidemie in China und auch weltweit ein derart großes Ausmaß annehmen konnte.

Und weltweit halten die Auswirkungen an. In Spanien wurde die weltweit wichtigste Mobilfunk-Messe MWC in Barcelona wegen der Coronavirus-Gefahr abgesagt. Gute Nachricht gab es am Donnerstag aus Bayern: Dort konnte der erste von 16 in Deutschland infizierten Patienten genesen aus der Klinik entlassen werden. Schlagzeilen macht das Virus weiter auch auf See. An Bord des unter Quarantäne gestellten Schiffes im japanischen Yokohama stieg die Zahl der Infektionen um 44 auf 218. Das Kreuzfahrtschiff „Westerdam“ konnte indessen nach tagelanger Odyssee durch asiatische Gewässer in Kambodscha anlegen. Das Schiff mit 2300 Menschen an Bord – darunter 57 Deutsche – durfte wegen der Sorge vor einer Einschleppung von Covid-19 mehrere Häfen nicht anlaufen.

 Wegen der Krise entlässt die Führung Lokalpolitiker – wie Jiang Chaoliang, Parteichef der Provinz Hubei.

Wegen der Krise entlässt die Führung Lokalpolitiker – wie Jiang Chaoliang, Parteichef der Provinz Hubei.

Foto: dpa/FeatureChina

In China – dem Herd der Epidemie – werden inzwischen Klagen über Vertuschung, mangelnde Hilfe und unfähige Funktionäre lauter. Ebenso Stimmen, die die Unzulänglichkeiten im politischen System sehen. Der Tod des Arztes Li Wenliang, der vor dem Ausbruch gewarnt hatte, aber mundtot gemacht worden war, steht für viele symbolisch für die Repression. „Weil die Meinungsfreiheit und die Wahrheit von den Behörden unterdrückt wurde, kann das Virus sein Unwesen treiben“, heißt es in einer Petition namhafter Akademiker an den Volkskongress. Das Volk zu unterdrücken sei den Behörden wichtiger, als eine Epidemie zu verhindern. Worte, die aus dem Reich der Mitte nur selten zu hören sind.

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