Russland-Koordinator Dirk Wiese „Moskau muss vollumfänglich aufklären“

Berlin · Der scheidende Russland-Koordinator spricht über den Fall Nawalny und die Krise in Belarus.

 Dirk Wiese war bisher Russland-Koordinator der Bundesregierung, wird aber nun SPD-Fraktionsvize.

Dirk Wiese war bisher Russland-Koordinator der Bundesregierung, wird aber nun SPD-Fraktionsvize.

Foto: SPD

Wie mit der Kreml-Führung nach dem Giftanschlag auf Alexej Nawalny umgehen? Unsere Redaktion befragte dazu Dirk Wiese (SPD), den Russland-Koordinator der Bundesregierung. Für Wiese, der Fraktionsvize wird, war es der letzte Arbeitstag in diesem Amt. Sein Nachfolger wird Johann Saathoff (SPD). 

Herr Wiese, die Berliner Charité hat festgestellt, dass Alexej Nawalny vergiftet wurde. Steckt die russische Regierung dahinter?

WIESE Die Klinik hat mitgeteilt, dass mit großer Wahrscheinlichkeit eine Vergiftung vorliegt. Ich erwarte jetzt, dass die weiteren Ermittlungen zu einer vollständigen Aufklärung des Falles führen. Und damit auch die Frage beantworten, wann Alexej Nawalny vergiftet wurde, und vor allem durch wen.

Was erwarten Sie dabei von den russischen Behörden?

WIESE Dass bei der Aufarbeitung dieser Tat transparent und vollumfänglich aufgeklärt wird. Das war bei ähnlich gelagerten Fällen leider nicht der Fall gewesen.

Es gab den Mord im Berliner Tiergarten, der Anschlag auf Sergej Skripal in England, viele Morde an führenden Oppositionellen in Russland selbst. Kann man sagen, dass der Kreml über Leichen geht?

WIESE In Bezug auf die Tötung eines Georgiers im Berliner Tiergarten hat der Generalbundesanwalt in seiner Stellungnahme festgestellt, dass staatliche russische Strukturen hier mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Rolle gespielt haben. Es besteht also durchaus ein erheblicher Verdacht in diese Richtung. Allerdings gibt es noch kein abgeschlossenes Gerichtsverfahren.

Sie kennen sich ja exzellent in Russland aus. Sind solche Aktionen gegen Oppositionelle denkbar, ohne dass das von ganz oben gedeckt wird, also von Putin?

WIESE Das ist Spekulation. Was man zweifelsfrei sagen kann ist, dass die russische Opposition in den vergangenen Jahren massiven Restriktionen seitens der Administration ausgesetzt war, so dass man nicht mehr von einem fairen und freien politischen Wettbewerb sprechen kann.

Was, wenn die russischen Behörden in Sachen Nawalny nicht kooperieren? Muss es dann Konsequenzen geben, etwa Sanktionen?

WIESE Die Beziehungen zu Russland sind nicht schwarz-weiß einzuordnen. Ja, wir haben Meinungsverschiedenheiten. Ja, wir haben viele Fragen im Fall Nawalny und in anderen Fällen. Aber es gibt auch Bereiche, wo wir mit Russland sehr konstruktiv zusammenarbeiten. Es gibt aktuell eher viele Grautöne.

In Belarus droht Russland den Demonstranten mittlerweile unverhohlen mit Einmischung. Bahnt sich hier der nächste Konflikt an?

WIESE Es ist interessant, dass Präsident Lukaschenko vor der Wahl vor einer russischen Einflussnahme gewarnt hat und jetzt versucht, eine antiwestliche Karte zu spielen. Er wirkt in die Ecke gedrängt. Dabei gehen in Belarus Bürgerinnen und Bürger aus eigenem Entschluss für freie Wahlen und Selbstbestimmung auf die Straße. Und zwar ohne äußere Einflüsse. Jetzt braucht es in dem Land einen inklusiven Dialog zwischen allen Beteiligten. Die OSZE, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, könnte hier eine vermittelnde Rolle spielen. In ihr sind auch Belarus und Russland Mitglied.

Muss die weißrussische Opposition Moskau garantieren, dass das Land nach Lukaschenko nicht in die EU und die Nato geht?

WIESE Belarus hat nie angestrebt, Mitglied der EU oder der Nato zu werden. Und auch die Opposition hat immer wieder betont, dass sie an den Beziehungen zu Russland nichts ändern will. Ich verweise als Beispiel auf Armenien, wo ein friedlicher Machtwechsel gelungen ist. Armenien ist weiter Mitglied der OVKS und der Eurasischen Wirtschaftsunion.

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