Katalonien Puigdemont bleibt auf Konfrontationskurs

Barcelona/Madrid · Ein Ende des Konflikts um Katalonien schien gestern greifbar. Doch der Chef der Regionalregierung überraschte alle.

(dpa) Als Carles Puigdemont nach langem Hin und Her, Chaos und quälender Ungewissheit gestern endlich vor die Mikrofone trat, hatten sich einige der Tausenden Menschen draußen vor dem katalanischen Regierungspalast in Barcelona schon heiser geschrien. „Verräter, Verräter!“ und „Unabhängigkeit, Unabhängigkeit!“, riefen Jung und Alt immer wieder. Es herrschten Wut und Enttäuschung, es gab laute Pfeifkonzerte. Puigdemont wolle zurückrudern und die Pläne zur Abspaltung von Spanien abblasen, hatten Medien im EU-Land den ganzen Tag lang unisono berichtet. Er wolle Neuwahlen ausrufen. Doch dann überraschte Puigdemont Freund und Feind.

Der 54-jährige liberale Politiker ließ sich von den von Madrid angedrohten Zwangsmaßnahmen gegen seine Region, die schon heute nach Billigung durch den Senat zur Anwendung kommen sollen, nicht einschüchtern und lehnte die Ausrufung von Neuwahlen ab. Er „habe die Ausrufung von Neuwahlen erwogen, aber es gibt keine Garantien dafür“, meinte der Regionalpräsident kurz nach 17 Uhr, nachdem er seine Rede mehrfach verschoben hatte.

Lautsprecher verbreiteten draußen seine Worte. Überraschung, Aufatmen und Jubel vor dem Regierungspalast, Entsetzen bei Beobachtern im ganzen Land. „Das kann jetzt auf den Straßen schlimm werden“, sagte entgeistert die katalanische Teilnehmerin einer Journalisten-Talkrunde im öffentlich-rechtlichen Nachrichtensender 24Horas. Die Angst vor Unruhen nahm plötzlich wieder zu. Die Madrider Börse, die im Laufe des Tages stark zugelegt hatte, flaute wieder ab.

Gestern Abend stand fest, dass der Senat die Zwangsmaßnahmen billigen wird. In der zweiten Parlamentskammer hat die Volkspartei (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy nämlich eine ausreichende Mehrheit. Und keinen Grund, die Madrider Interventionspläne abzulehnen. Die Absetzung von Puigdemont ist nur eine Frage von Tagen. Wie werden die Anhänger der Separatistenbewegung darauf reagieren? „Jetzt können wir nichts mehr ausschließen“, „man muss Angst haben“ oder „Das ist ein Desaster“ hörte man im Fernsehen.

Auf den Straßen Barcelonas herrschte unterdessen weniger Angst. „Das ist ein Schachspiel, und wir haben sehr gut gespielt“, sagte der 42 Jahre alte Joan in der Nähe des Palau. Er hatte sich eine „Estelada“, die Flagge der Unabhängigkeitsbewegung umgehängt. Der 18-jährige Student Pol sprach von Hoffnung und die 50-jährige Angela von „Stolz“. „Stolz, dass Puigdemont das Mandat des Volkes erfüllt.“

Mit „Mandat“ meinen die Regierung in Barcelona, Angela und die vielen Demonstranten auf dem Sant-Jaume-Platz das „verbindliche Referendum“ vom 1. Oktober, bei dem gut 90 Prozent der Teilnehmer für die Abspaltung von Spanien stimmten. Die Wahlbeteiligung lag allerdings nur bei gut 40 Prozent – und die Abstimmung fand trotz eines Verbots durch das Verfassungsgericht statt.

Das Programm für den heutigen Freitag: In Madrid stimmt der Senat ab, und gleichzeitig wird das Parlament in Barcelona höchstwahrscheinlich über die Ausrufung der Unabhängigkeit debattieren.

Unter den Neutralen gibt es aber welche, die noch auf eine Lösung in letzter Sekunde für den Konflikt um die wirtschaftsstarke, von auswärtigen Touristen meistbesuchte Region Spaniens setzen. Zu den wenigen gehört der katalanische Sozialistenchef Miquel Iceta. Der 57-Jährige – eine der gemäßigsten Stimmen im Konflikt – beteuerte: „Noch ist Zeit!“ Es gebe zwei Wege, die man gleichzeitig gehen müsse. Das Parlament in Barcelona müsse am Freitag die Unabhängigkeit ablehnen und für Neuwahlen stimmen. Und der Senat dürfe nicht einfach grünes Licht für die Zwangsmaßnahmen geben, sondern eine Debatte über Katalonien und die Autonomie einleiten.

Doch die Skepsis ist gerechtfertigt. In der Volkspartei von Rajoy ist von Dialog weit und breit keine Rede. Der katalanische PP-Chef Xavier García Albiol warnte die Separatisten schon vor der Rede von Puigdemont, die Zwangsmaßnahmen würden auch dann eingesetzt werden, wenn der Regionalpräsident noch Neuwahlen ausrufen sollte. „Wer mit Feuer spielt, der verbrennt sich.“

Im Lager der Sezessionisten gibt es auch einen sehr harten Kern, der Puigdemont gestern den ganzen Tag unter Druck setzte. „Wir akzeptieren keine Neuwahlen. Ihr habt ein Mandat des Volkes und das müsst Ihr erfüllen“, forderte die separatistische Organisation Súmate auf Twitter.

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