Proteste in Belarus „Lukaschenko zum Dialog drängen“

Berlin · Der SPD-Außenexperte fordert, dass die Europäische Union die Demokratiebewegung in Belarus stärker unterstützt.

 Nils Schmid ist außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

Nils Schmid ist außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

Foto: Susie Knoll

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Nils Schmid, plädiert im SZ-Gespräch für eine Initiative Deutschlands, Polens und Frankreichs, um die Demokratiebewegung in Belarus zu stärken.

Herr Schmid, sind die Amtstage von Lukaschenko gezählt?

SCHMID Es sieht danach aus, wenn er nicht rasch zu einem Dialog mit der Opposition des Landes kommt. Die große Massenbewegung nicht nur in Minsk, sondern auch in vielen anderen Teilen von Belarus zeigt, dass sich die Menschen dort politischen Pluralismus und mehr Freiheiten wünschen.

Vor zwei Jahren schien Venezuelas Diktator Maduro auch wegen Wahlmanipulationen abtreten zu müssen. Das war ein Trugschluss.

SCHMID Der Unterschied zu Venezuela damals ist, dass in Belarus die einfache Forderung nach freien und fairen Wahlen jenseits der klassischen Parteien erhoben wird, interessanterweise inzwischen auch von Beschäftigten der großen staatlichen Betriebe, die bislang Lukaschenkos Machtbasis waren. Zum ersten Mal wird die Machtfrage gestellt. Die Lehre aus den Ereignissen in Venezuela sollte sein, nicht übereilt eine Exilregierung anzuerkennen, die keine Basis im Land selber hat. Besser wäre es, seitens der EU auf einen runden Tisch in Minsk zu drängen.

Das heißt, die EU hat bislang nicht klar genug Position bezogen?

SCHMID Sie ist ja schon aktiv geworden. Es werden Sanktionen vorbereitet, um die Verantwortlichen für die brutalen Attacken gegen die Massenproteste und die Wahlfälschungen zu treffen. Nötig ist aber zweifellos noch mehr diplomatisches Engagement, um einen nationalen Dialog in Gang zu bringen. Der für Mittwoch angekündigte EU-Videogipfel kann hier sicher einiges leisten.

Was könnte ein runder Tisch bezwecken?

SCHMID Gerade weil die neue Bewegung weit über die bisherigen Oppositionspartien hinaus reicht, müssen alle politischen und zivilgesellschaftlichen Kräfte zu einer Vereinbarung über freie Wahlen und Medienfreiheit kommen. Erst dann wird sich auch ein Mehrparteiensystem etablieren können, das diesen Namen verdient. Ziel muss sein, dass die Bürger von Belarus eigenständig über ihren künftig Weg innen- wie außenpolitisch entscheiden können.

Sehen Sie die Gefahr, dass Russland in Belarus militärisch eingreift?

SCHMID Mit einer Intervention würde Moskau ein hohes Risiko eingehen und die positive Grundhaltung der belarussischen Bevölkerung gegenüber Russland aufs Spiel setzen. Eher wird Moskau versuchen, im Hintergrund seinen Einfluss geltend zu machen und versuchen, Lukaschenko durch jemanden zu ersetzen, der dafür sorgt, dass Belarus weiterhin im Einflussbereich Moskaus verbleibt. Auch wären neue Sanktionsmaßnahmen der EU gegen Russland unausweichlich, sollte Putin intervenieren. Insofern wird man es sich im Kreml gut überlegen, ein solches Wagnis einzugehen.

Was kann die Bundesregierung für eine Demokratisierung tun?

SCHMID Im Rahmen des sogenannten Weimarer Dreiecks sollten die Regierungschefs von Polen, Frankreich und Deutschland direkt bei Lukaschenko vorstellig werden, um ihn zum Dialog zu drängen. Dass bestimmte EU-Länder die Initiative ergreifen, hatte sich auch schon bei der Aushandlung eines Waffenstillstandsabkommens in der Ostukraine bewährt. Polen grenzt direkt an Belarus und hat eine enge Bindung zu dem Land. Da wäre es ein gutes Zeichen, wenn Deutschland zusammen mit Polen und Frankreich hier an einem Strang ziehen würde.

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