Signal an die „Gelbwesten“ Das jähe Ende einer Elite-Hochschule

Paris · Frankreichs Präsident Macron will die Ena schließen. Die Kaderschmiede liefert seit 70 Jahren den Nachwuchs für die Spitzenposten in Politik, Verwaltung und Wirtschaft.

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Foto: SZ

Es ist keine gute Idee, auf einer Kundgebung der „Gilets Jaunes“, der sogenannten Gelbwesten, in Paris die vermummten Demonstranten auf die Ena anzusprechen. In sehr kurzer Zeit fallen sehr viele hässliche Worte. Die École Nationale d‘Administration ist ein Hassobjekt. Viele Franzosen schwanken in ihrem Urteil zwischen Bewunderung und Abneigung. Die Hochschule sei ein Eliteclub und betreibe intellektuelle Inzucht, heißt es immer wieder. Laut Umfragen würden die meisten die altehrwürdige Einrichtung lieber heute als morgen abschaffen.

Diesen Schritt hat nun der Präsident getan. Emmanuel Macron hat angekündigt, die Ena zu schließen. Das ist eine der überraschenden Schlussfolgerungen, die der Staatschef aus dem mehrere Wochen dauernden Bürgerdialog gezogen hat, den er nach den Protesten der „Gelbwesten“ ins Leben gerufen hatte. Wobei noch immer nicht ganz geklärt ist, was Macron damit wirklich meint. Auf jeden Fall soll es mehr als eine grundlegende Reform der Hochschule sein. Der Staatschef will sie offenbar durch eine neue Einrichtung ersetzen, für die alleine „die Begabung und die Leistung“ zählen sollen.

Die Wut der „Gelbwesten“ konnte er mit dieser Ankündigung aber nicht kühlen. Auch am Samstag gingen in Frankreich wieder mehrere zehntausend Menschen auf die Straße, um gegen die politischen Reformen und vor allem gegen Macron zu protestieren. Der Präsident hatte wohl darauf gehofft, dass er mit der Ena-Schließung ein Zeichen setzen kann, dass er bei seinem Reformkurs auch vor schmerzhaften Einschnitten in den eigenen Reihen nicht zurückschreckt.

Macron selbst hat die harte Ausbildung in der Kaderschmiede durchlaufen. Ebenso wie seine Vorgänger Valéry Giscard d’Estaing, Jacques Chirac und François Hollande. Auch viele der französischen Regierungschefs waren auf der Hochschule – inklusive des amtierenden Premierministers Édouard Philippe. Auch zählen viele Wirtschaftsbosse zu den „Enarchen“, wie etwa der Chef des Telekommunikationsanbieters Orange, Stéphane Richard, und auch der Vorsitzende der Großbank Société Générale, Frédéric Oudéa.

Allein diese Auflistung beschreibt nicht nur den Stolz der Hochschule, sondern auch deren Problem. Ein großer Teil der Top-Elite des Landes durchläuft die Ausbildung an der Ena. Diese Tatsache ruft viele Kritiker auf den Plan. Sie reiben sich vor allem an der Auswahl der Studenten. Auf die rund 100 Plätze bewerben sich mehrere tausend junge Leute. Die Auswahl ist hart. In speziellen Kursen kann man sich auf die Prüfungen vorbereiten. Diese Kurse aber sind sehr teuer, und das kann sich in der Regel nur der Nachwuchs aus betuchtem Hause leisten. Das heißt, die Eliten bleiben unter sich. Kinder aus sozial schwachen Familien oder auch Absolventen anderer Hochschulen haben kaum eine Chance, an der École Nationale d‘Administration angenommen zu werden. Aus diesem Grund gilt sie als Brutstätte der arroganten Eliten. Die „Enarchen“ gelten als die „Mandarine der Republik“, die den Kontakt zu den normalen Menschen verloren haben. Dies ist ein Vorwurf der auch Präsident Macron seit seinem Amtsantritt immer wieder entgegenschlägt.

Diese Entwicklung als Karriererampe für Privilegierte widerspricht im Grunde dem Gründungsgedanken der Schule. Ins Leben gerufen wurde sie nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie war eine Reaktion auf die Traumatisierung der Kollaboration mit den deutschen Besatzern. Charles de Gaulle versprach damals, dass keine ausgesuchte Elite mehr das Land führen werde, sondern dass jeder Franzose und jede Französin die Chance haben müsse, in die höchsten Posten des Staates aufzusteigen. Wie um diese Grundsätze auch nach außen zu unterstreichen, war der erste Direktor ein Kommunist, der damalige Generalsekretär der kommunistischen Partei Frankreichs, Maurice Thorez.

Die Ausbildung an der Hochschule wurde breit angelegt, gelehrt wurde nicht nur die hohe Kunst der Verwaltung, sondern auch Literatur und Philosophie. Die Ena sollte keine gefühllosen Technokraten formen, sondern Menschen mit einer breiten Bildung. Noch heute unterstreichen die Verantwortlichen der Hochschule, dass bei der Ausbildung viel Wert gelegt werde auf die „Vermittlung der ethischen Grundsätze des öffentlichen Dienstes, die auf Werten wie Verantwortungsbewusstsein, Neutralität, Leistungsbereitschaft und Integrität beruhen“.

Nach dem Aufbau der Ena zeigte sich aber schnell, dass diese Demokratisierung der Ausbildung der Elite ein frommer Wunsch war. Es waren vor allem Kinder von Wohlhabenden, die auf den Schulbänken Platz nahmen. Um dem ständigen Vorwurf der Fixierung auf das Machtzentrum Paris entgegenzutreten, wurde die Hochschule 2005 nach Straßburg verlegt. An dem Ruf, Kaderschmiede vorrangig für Bessergestellte zu sein, änderte der Umzug aber nichts.

Nun soll der Ena also das Totenglöckchen läuten. Die Schule selbst gibt keine Stellungnahme, aber deren Direktor Patrick Gérard tat sein Unverständnis und Missfallen in der konservativen Tageszeitung Le Figaro kund. Nein, die Hochschule sei kein Eliten-Club, unterstreicht er. Freilich muss er einräumen, dass nur 19 Prozent der Schüler Kinder von Arbeitern, Ladenbesitzern, Angestellten oder Bauern sind. Das hält er für bedauerlich und versucht dieses Manko positiv zu wenden. Gerade die Anwesenheit dieser Studenten zeige doch, dass die Schule noch immer allen Schichten die Möglichkeit biete, in die höchsten Stellen der Verwaltung des Landes aufzusteigen. Für Patrick Gérard ist es unverständlich, die Ena zu zerschlagen, eine hoch angesehene Institution, um die viele Länder Frankreich beneideten.

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