Feuer in Irak und Syrien Wenn IS-Extremisten zu Brandstiftern werden

Damaskus/Bagdad · Für die großflächigen Brände, die in Syriens Nordosten ganze Weizen- und Gerstenfelder in verkohltes Gestrüpp verwandelt haben, hat Salman Barudu ein Wort: „furchterregend“. Die Flammen haben Zivilisten getötet und Ernten vernichtet.

Barudu, Leiter der kurdischen Landwirtschaftsbehörde in den syrischen Kurdengebieten, spricht von einer „Katastrophe in unserer Region“.

Auch im Irak brennt es. Satellitendaten der Nasa zeigen die Brandnester als rote Punkte auf einer Landkarte. Laut Polizei hatten bewaffnete Männer etwa in der Gegend um Sindschar Felder in Brand gesteckt – rund 700 Familien flüchteten vor dem Inferno nach Mossul.

Die Flammen stellen Beobachter vor ein Rätsel. Wollen verbleibende Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat, die in diesen Gegenden ihr sogenanntes Kalifat errichtet hatte und die Ende 2017 militärisch besiegt wurde, Druck auf die Bevölkerung ausüben? Brennt der IS aus Rache die Existenzgrundlage der Menschen nieder? Treiben hier andere Gruppen ihr Unwesen? Oder sind die Brände gar Unfälle, etwa durch weggeworfene Zigaretten in der großen Hitze?

„Soldaten des Kalifats, verbrennt die Bauernhöfe der Abtrünnigen!“, hieß es in einem Aufruf des IS in seiner Wochenschrift „Al-Naba“ Ende Mai. Hunderttausende Hektar Land, bepflanzt mit Weizen und Gerste, lägen im Irak und Syrien bereit, um abgebrannt zu werden, dazu „Gärten, Felder, Häuser und wirtschaftliche Anlagen“. Zu Beginn des Textes kündigen die Autoren mit böser Zunge einen „heißen Sommer“ an. Eine Taktik der verbrannten Erde hatten IS-Milizen schon eingesetzt, bevor sie 2014 weite Teile des Iraks und Syriens überrannten.

„Aufständische des IS sind vermutlich für den Großteil der Brände verantwortlich“, schreibt Nahost-Forscher Wim Zwijnenburg nach einer Auswertung von Satellitenaufnahmen und Fotos der betroffenen Gebiete im Irak. Teils würden die Extremisten damit Abgaben erpressen. Berichten zufolge sollen sie sogar Sprengfallen ausgelegt haben, um Löscharbeiten von Feuerwehrleuten zu behindern. Die Umwelt, schreibt Zwijnenburg, werde zunehmend zu ihrer Waffe. „Die Logik lautet: Wenn wir dieses Land nicht haben können, dann niemand sonst“, sagt Peter Schwartzstein vom Center for Climate and Security zur „Washington Post“. Er vermutet aber, dass andere Gruppen die Brände ebenfalls für ihre Zwecke nutzen. Denn seit der IS zu dem Bränden aufgerufen hat und diese teilweise auch für sich beansprucht, können andere Akteure gewissermaßen als Trittbrettfahrer Feuer legen und ihren Rivalen damit Land verweigern oder selbst Rache üben.

Damit kommen weitere mutmaßliche Brandstifter in Frage: Kurden und Araber etwa, deren Landbesitz in ihrem jahrelangen Konflikt immer wieder wechselte, sowie lokale Gegner und Unterstützer des IS. Die kurdisch geführten Demokratischen Kräfte Syriens vermuten etwa auch Truppen der Regierung von Präsident Baschar al-Assad oder die Türkei hinter den Bränden. Assad habe keinerlei Interesse daran, dass der kurdisch verwaltete Nordosten Syriens wirtschaftlich auf die Beine kommt. Nicht zuletzt könnten Explosionen nach Luftangriffen gegen Stellungen des IS oder Sprengsätze ein Feuer auslösen. In der sengenden Hitze – im Irak und in Syrien herrschen derzeit Temperaturen um 40 Grad – könnte schon ein Funke reichen. Selbst durch ein Stück Glas verstärkte Sonnenstrahlen könnten die dürre Vegetation entzünden.

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte zählte allein in Syrien mindestens zehn Tote im Zusammenhang mit den jüngsten Bränden und Verluste im Wert von mehr als 300 Millionen Euro. Im Irak brannten allein im Mai mehr als 1000 Quadratkilometer – eine Fläche größer als Berlin.

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