Organisiertes Verbrechen Ein blutiger Machtkampf hat Mexiko fest im Griff

MEXIKO-STADT · Es war eine minutiös geplante Hinrichtung. Als Aristóteles Sandoval in der Nacht zu Freitag in der Bar „Distrito 5“ in Puerto Vallarta um 1.40 Uhr zur Toilette geht, folgen ihm zwei Killer und schießen ihn mehrfach tödlich in den Rücken.

 Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador setzt auf Prävention statt Repression.

Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador setzt auf Prävention statt Repression.

Foto: dpa/Berenice Fregoso El Universal

Die Täter flüchten sofort, und noch bevor die Polizei eintrifft, haben Mitarbeiter der Bar alles sauber gewischt und die Überwachungskameras verschwinden lassen. Ersten Ermittlungen zufolge muss der 46-jährige Ex-Gouverneur in seinen Ferien von seinen Mördern tagelang beobachtet worden sein, bevor sie zuschlugen.

Noch ist nicht klar, wer hinter dem Attentat steckt, aber die Tat, ihre professionelle Ausführung und vergleichbare Anschläge in diesem Jahr deuten auf das Organisierte Verbrechen, genauer auf das „Cartel Jalisco Nueva Generación“ (CJNG), das inzwischen mächtigste und blutrünstigste Verbrechersyndikat Mexikos. Bereits vor Jahren hatte es das Sinaloa-Kartell des inhaftierten Drogenkönigs „El Chapo“ Guzmán abgelöst. Der Bundesstaat Jalisco mit der Hauptstadt Guadalajara ist das neue Epizentrum des Organisierten Verbrechens in Mexiko. Und der getötete Sandoval, der dort bis vor zwei Jahren Gouverneur war, hatte in seiner Amtszeit immer wieder Probleme mit Anschlägen und Morden an Mitgliedern seiner Regierung. Zugleich wurde der Politiker immer verdächtigt, mit dem Kartell paktiert zu haben.

Die Gewalttat zeigt wieder einmal, dass das Organisierte Verbrechen in Mexiko nach Belieben Schalten und Walten kann und dass der linke Präsident Andrés Manuel López Obrador keinerlei Idee hat, wie dem beizukommen ist. Im Juni hatte das Kartell CJNG am helllichten Tag versucht, den Polizeichef von Mexiko-Stadt zu ermorden. Nie zuvor hatte sich eine kriminelle Organisation getraut, im Herzen der Hauptstadt ein Attentat mit Kriegswaffen zu verüben. Es war eine Machtdemonstration, die dem Staat zeigen sollte: Wir können immer und überall zuschlagen. So wie auch jetzt bei der Ermordung des Ex-Gouverneurs und Hoffnungskaders Sandoval. Die US-Antidrogenbehörde hat schon in ihrem letzten Jahresbericht vor der Gefährlichkeit des CJNG gewarnt.

„Das, was wir gerade erlebt haben, ist nicht nur ein Mord, es ist ein Angriff auf den mexikanischen Staat“, sagt Enrique Alfaro, amtierender Gouverneur von Jalisco und Nachfolger von Sandoval im Amt. „Unser Staat hat sich schon vor Jahren in einen Kriegsschauplatz verwandelt, in dem sich niemand sicher fühlen kann“, meint Schriftsteller Antonio Ortuño. Tatsächlich ist der große Staat im Westen Mexikos in dem ohnehin schon gewalttätigen Land einer der Orte mit den meisten Mordopfern.

Im September kalkulierte die Zentralregierung, dass 2020 das blutigste Jahr in der Geschichte Mexikos werde – und das trotz des partiellen Herunterfahrens des Landes wegen der Corona-Pandemie. Präsident López Obrador rechnet mit rund 41 000 Mordopfern im ganzen Jahr. Vergangenes Jahr wurden 37 315 Morde gezählt. „75 Prozent dieser Taten gehen auf das Konto der Kartelle“, ist der Präsident überzeugt.

„Abrazos, no balazos” – auf diese knappe Formel hatte er zu Beginn seiner Amtszeit vor zwei Jahren seine Strategie gegen das Organisierte Verbrechen in Mexiko gebracht. „Umarmungen, keine Kugeln“ – so sollte den Kartellen nach Jahren der fruchtlosen militärischen Konfrontation durch die Vorgängerregierungen der Wind aus den Segeln genommen werden. Eine an sich lobenswerte Idee, weil sie doch auf Prävention und nicht nur auf Repression setzt. Aber inzwischen ist klar: Die Strategie ist grandios gescheitert. Der Präsident hat ähnlich wie seine Vorgänger kein Rezept, wie den Syndikaten beizukommen ist.

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