Zur Rede an die Nation Wie wandlungsfähig ist Frankreichs Präsident Macron wirklich?

Paris · Der selbstbewusste französische Staatschef Emmanuel Macron gibt sich derzeit ungewohnt zurückhaltend. Redete er vor einigen Tagen noch von einem Krieg gegen das Virus, ist von dieser martialischen Rhetorik kaum mehr etwas übrig.

Er gibt sogar Fehler zu. Frankreich sei nicht gut genug auf die Pandemie vorbereitet gewesen, räumte Macron in seiner Rede an die Nation am Montag ein.

Vor der Ansprache applaudierten viele Franzosen auf ihren Balkonen zwei Minuten lang den Pflegern und Ärzten in Krankenhäusern und Altenheimen, um sich für ihren Einsatz im Kampf gegen die Pandemie zu bedanken. Auch Macron hob die Arbeit der Helden dieser schweren Wochen nun überschwänglich hervor. Dabei ist es nur wenige Monate her, da wurden manche Protestzüge des Pflegepersonals, das auf die unhaltbaren Arbeitsbedingungen in den Kliniken aufmerksam machen wollte, von der Polizei mit Tränengas brutal auseinandergetrieben.

Die Franzosen haben diese niederschmetternden Bilder nicht vergessen, weshalb sie auch jetzt Zweifel an der Aufrichtigkeit des Präsidenten hegen. Nur knapp über ein Drittel der Menschen in Frankreich vertraut laut einer Umfrage der eigenen Regierung im Kampf gegen das Coronavirus. Die tiefe Kluft, die sich zwischen dem Staatschef und seinem Volk seit Monaten auftut, wird auch während dieser Pandemie zum Problem. Das erklärt den Schwenk in der Rhetorik des Staatschefs.

Macron will nun beweisen, dass auch er in diesen Tagen erkannt hat, dass sich hinter Zahlen und Statistiken immer Menschen verbergen. Ganz zu Beginn seiner Rede erwähnte er deshalb ausdrücklich die großen Sorgen der Familien, die wegen der Ausgangssperre im ganzen Land seit Wochen eingepfercht in kleinen Wohnungen leben müssen. Die Aufforderung, sich trotz aller Probleme an die Ausgangssperre zu halten, formuliert der Präsident inzwischen eher als dringende Bitte und nicht mehr als drohenden Befehl. Das ist eine überraschende Wendung, denn Macron setzte seine politischen und wirtschaftlichen Ziele in der Vergangenheit bei Widerständen gerne mit der Brechstange durch. Im Fall der Proteste der Gelbwesten und auch der von ihm geplanten Rentenreform führte das zur tiefen Spaltung der Gesellschaft und der Vertrauenskrise in die Regierung.

Doch der Lernprozess scheint für Macron noch weiter zu gehen. Für den Jünger der Marktwirtschaft  war es ein Schock, dass Frankreich nicht in der Lage war, zu Beginn der Katastrophe genügend einfache Schutzmasken zu produzieren. Wie in allen europäischen Ländern waren die Kapazitäten aus Gründen der Rentabilität nach Asien ausgelagert worden. Es gehe nach dieser Krise auch darum, Ideologien hinter sich zulassen, sich neu zu erfinden, so die neue Überzeugung des Präsidenten. Er selbst sei der Erste, der in der Post-Corona-Zeit alte Glaubenssätze über Bord werfen werde. In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob Macron die Entwicklung vom „Präsident der Super-Reichen“ zum Präsident aller Franzosen gelingt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort