Krise in Venezuela Schläge, Schreie und neues Chaos in Caracas

Mexiko-Stadt/Caracas · Das Krisenland Venezuela hat nun auch noch zwei Parlamentspräsidenten. Die Zukunft des Oppositionellen Guaidó ist ungewiss.

 Der selbsternannte Interimspräsident Juan Guaidó sieht sich weiter auch als Parlamentspräsident. Aber Kontrahent Luis Parra rief sich ebenso dazu aus.

Der selbsternannte Interimspräsident Juan Guaidó sieht sich weiter auch als Parlamentspräsident. Aber Kontrahent Luis Parra rief sich ebenso dazu aus.

Foto: dpa/Andrea Hernandez Briceño

Es war eine schwierige Wahl erwartet worden in Venezuela, aber dass die Neubestimmung des Parlamentspräsidenten am Sonntag in Faustschlägen, Schreien und einer Proklamation per Megafon enden würde, damit hatte dann wohl nicht einmal Juan Guaidó gerechnet. Der Oppositionspolitiker und selbsterklärte Staatschef Venezuelas wollte sich als Vorsitzender der Nationalversammlung wiederwählen lassen. Schließlich gründet er auf das Amt seinen Anspruch auf die Präsidentschaft des südamerikanischen Landes.

Aber der 36-Jährige kam gar nicht erst ins Parlamentsgebäude im Herzen von Caracas. Nationalgardisten versperrten ihm den Weg, ließen ihn auch nicht über den Zaun klettern. Und drinnen kam es währenddessen zu Tumulten und einer Proklamation von Luis Parra, einem abtrünnigen Oppositionellen, der sich mit Hilfe der regierungstreuen chavistischen Abgeordneten zum neuen Vorsitzenden erklärte. Die Schreie und Proteste, während derer Abgeordnete auf die Tische kletterten, waren so laut, dass sich der 41-Jährige per Megafon ausrufen musste. Guaidó sprach anschließend von einem „parlamentarischen Putsch“ und ließ sich seinerseits Stunden später in den Redaktionsräumen der Oppositionszeitung El Nacional erneut zum Parlamentsvorsitzenden erklären, was sowohl die USA als auch die Europäische Union und Deutschland anerkannten.

Die Wahl Parras sei nicht rechtmäßig verlaufen und stelle „einen neuen Schritt bei der Verschlechterung der venezolanischen Krise dar“, sagte ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Daher werde die EU Guaidó weiterhin anerkennen. US-Außenminister Mike Pompeo gratulierte Guaidó zu „seiner Wiederwahl“ und verurteilte die Versuche des „Maduro-Regimes, den Willen der demokratisch legitimierten Nationalversammlung“ zu unterlaufen. Auch die Bundesregierung sprach von einem Manipulationsversuch.

Seit Sonntag ist der bizarre Machtkampf in dem Chaos-Staat, der seit genau einem Jahr tobt, um eine Dimension reicher. Nun gibt es nicht nur zwei Politiker, die für sich das Amt des Staatschefs beanspruchen, sondern auch zwei Vorsitzende des Parlaments. Chaos und Ratlosigkeit sind nun groß und die Opposition offensichtlich tiefer gespalten als bekannt. Vorerst ist der einzige Sieger dieses Dramas Machthaber Nicolás Maduro, der nun Teile der Opposition auf seine Seite gezogen hat. Es wird wieder ein unruhiges Jahr werden in Südamerikas größtem Krisenstaat.

Unterdessen leidet die Bevölkerung weiter unter der schlechten Versorgungslage. Allerdings gibt es hier einen kleinen Lichtblick, seit Maduro im November den Dollar faktisch als offizielle Parallelwährung anerkannt hat. Seither sind viele Nahrungsmittel und Güter des täglichen Bedarfs wieder zu kaufen – gegen Dollar. Durch die mehr als 4,5 Millionen Flüchtlinge im Ausland fließen hohe Summen der US-Währung nach Venezuela. Zudem sind inzwischen auch einige Betriebe dazu übergegangen, ihre Angestellten in Dollar zu bezahlen, da Venezuela eine der weltweit größten Inflationsraten hat, was die nationale Währung Bolivar fast wertlos macht.

Parra, der nun das Amt als Chef der von der Opposition dominierten Nationalversammlung beansprucht, war bis vor kurzem noch Politiker der Oppositionspartei Primero Justicia, die gegen Maduro kämpft. Mit anderen Abgeordneten wurde er aber ausgeschlossen, weil er in einen Korruptionsfall von Nahrungsmittelkäufen im Ausland verstrickt ist, mit denen die Regierung ihre Hilfspakete für die Bevölkerung zusammenstellt.

Parra warf Guaidó vor, das Parlament „als Geisel genommen“ zu haben. Sein Weg, Maduro aus dem Amt zu verdrängen, sei „gescheitert“. Er werde sich für die „Entpolarisierung“ Venezuelas einsetzen, versprach Parra. Guaidó hatte sich am 23. Januar zum Staatschef proklamiert und wird mittlerweile von 57 Staaten als rechtmäßiger Staatschef anerkannt, darunter Deutschland. Er versprach damals einen raschen Sturz Maduros und rief die Bevölkerung dazu auf, ihn mit Massendemos zu unterstützen. Diesen Dienstag wollte Guaidó eine Sitzung im Parlament abhalten. Dort wird sich womöglich zeigen, wie weit seine Autorität noch reicht.

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