Russland greift die Ukraine an Straßenkämpfe in den ukrainischen Städten Charkiw und Kiew
Soldaten liefern sich in der zweitgrößten Stadt Charkiw Straßenkämpfe. Auch in Kiew gehen die Kämpfe weiter. Ein Treibstofflager wurde in der Nacht mit Raketen beschossen.
Russische Truppen sind nach ukrainischen Angaben in die zweitgrößte Stadt der Ukraine vorgerückt. Es komme in Charkiw zu Straßenkämpfen zwischen ukrainischen Kräften und russischen Soldaten, erklärte der Leiter der Regionalverwaltung, Oleh Sinehubow, am Sonntag. Zugleich erhöhten russische Truppen den Druck auf strategisch wichtige Hafenstädte im Süden der Ukraine, anderswo im Land wurden Flugplätze und Treibstofflager angegriffen.
In Kiew verschanzten sich Bewohner eine weitere Nacht in Wohnungen, Kellern, Tiefgaragen und U-Bahn-Stationen, während über ihnen Geschosse einschlugen. Noch bis Montagmorgen gilt eine Ausgangssperre in der Hauptstadt. Jeder, der auf den Straßen angetroffen werde, werde als Angehöriger des Feindes betrachtet, warnte Bürgermeister Vitali Klitschko. In Supermärkten und Apotheken leerten sich zunehmend die Regale.
Das Büro von Präsident Wolodymyr Selenskyj teilte mit, eine der Explosionen in der Nacht habe sich nahe dem Kiewer Flughafen ereignet. Die Bürgermeisterin der Stadt Wassylkiw, rund 40 Kilometer südlich der Hauptstadt, sagte, dort sei ein Öldepot getroffen worden. Im Internet zirkulierten Videos von einem gewaltigen Brand, der das brennende Öldepot zeigen soll. Unabhängig konnte das nicht bestätigt werden.
Parallel zum Vorrücken des russischen Militärs erklärte der Kreml am Sonntag, eine russische Delegation sei zu Gesprächen mit Vertretern der Ukraine in der belarussischen Stadt Gomel eingetroffen. Kreml-Sprecher Dmitri Peksow sagte, zu der Delegation zählten Militärvertreter und Diplomaten. „Wir warten jetzt auf die Ukrainer“, sagte Peskow.
Der ukrainische Präsident Selenskyj erklärte dazu, sein Land sei zu Friedensgesprächen mit Russland bereit - allerdings nicht in Belarus. Unter anderem von belarussischem Boden aus wurde die russische Invasion in die Ukraine vorbereitet. Selenskyj nannte in einer Videobotschaft Warschau, Bratislava, Istanbul, Budapest oder Baku als Alternativen. Andere Orte seien ebenfalls möglich, sagte er und machte zugleich klar, dass die Ukraine die russische Entscheidung für Belarus nicht akzeptiere.
In Charkiw riefen die Behörden die Zivilbevölkerung auf, Wohnungen und Häuser nicht zu verlassen. Auf Videos in ukrainischen Medien und sozialen Netzwerken waren russische Fahrzeuge und kleine Gruppen russischer Soldaten in Charkiw zu sehen.
Russische Truppen hatten sich der Stadt etwa 20 Kilometer südlich der russisch-ukrainischen Grenze bereits kurz nach Beginn der Invasion am Donnerstag genähert. Bis zum Sonntag blieben sie aber am Stadtrand und versuchten nicht, ins Zentrum vorzudringen. In der Stadt leben etwa 1,4 Millionen Menschen.
Zuvor hatte die ukrainische Regierung die Explosion einer Gasleitung in Charkiw gemeldet. Russische Truppen hätten die Leitung gesprengt, erklärte das Büro von Präsident Selenskyj in der Nacht zum Sonntag. Unabhängig konnte das nicht überprüft werden. Selenskyjs Büro warnte vor einer Umweltkatastrophe.
Das russische Militär blockierte nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau die strategisch wichtige Stadt Cherson am Schwarzen Meer und den Hafen von Berdjansk am Asowschen Meer. Russische Truppen hätten ferner die Kontrolle über einen Luftwaffenstützpunkt bei Cherson und die Stadt Henitschesk übernommen, sagte Sprecher Igor Konaschenkow weiter.
Die ukrainischen Behörden hatten zuvor Kämpfe in verschiedenen Gebieten entlang der Küste gemeldet, darunter nahe Odessa und Mykolajiw.
Wie viel ukrainisches Territorium Russland bereits erobert hat, ist nach wie vor schwer zu sagen. Beide Seiten meldeten militärische Erfolge. Die russischen Truppen waren nach Einschätzung der USA und Großbritanniens in den vergangenen Tagen langsamer vorangekommen als erwartet. Eine ranghohe Gewährsperson im Pentagon sagte, dass mehr als die Hälfte der russischen Streitmacht, die entlang der Grenze zur Ukraine zusammengezogen worden war, inzwischen in das Land eingedrungen sei.
Auf internationaler Ebene wurde der Kurs gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin weiter verschärft. Der Ausschluss mehrerer russischer Banken aus Swift bedeute, dass sie vom internationalen Finanzsystem abgeschnitten seien und nicht mehr weltweit agieren könnten, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Mit Hilfe von Swift werden täglich Milliarden zwischen mehr als 11 000 Banken und anderen Finanzinstituten auf der ganzen Welt bewegt. Russland davon auszuschließen, gilt als eine der härtesten möglichen Finanzsanktionen. Indem nun nicht alle russischen Banken betroffen sind, gibt es Raum für eine weitere Verschärfung der Strafmaßnahmen. Neben den Swift-Sanktionen verhängten die USA, die EU und Großbritannien am Samstag erstmals Restriktionen für die russische Zentralbank. Ziel sei es, den Rubel abstürzen zu lassen und die Inflation anzutreiben, hieß es aus US-Regierungskreisen.