Demokratische Kandidatin für US-Vizepräsidentschaftsamt Kamala Harris feiert erneut Premiere

Washington · Die Demokratin ist die erste Nichtweiße, die von einer der beiden großen US-Parteien ins Rennen um das Vizepräsidentschaftsamt geschickt wird.

 Mit der kämpferischen schwarzen Senatorin Kamala Harris an seiner Seite will der demokratische US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden Amtsinhaber Donald Trump schlagen.

Mit der kämpferischen schwarzen Senatorin Kamala Harris an seiner Seite will der demokratische US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden Amtsinhaber Donald Trump schlagen.

Foto: AP/Bebeto Matthews

Kamala Harris hat im Laufe ihrer Karriere schon öfter Premieren gefeiert. Sie war die erste Frau auf dem Chefposten der Bezirksstaatsanwaltschaft von San Francisco, die erste Justizministerin Kaliforniens, schließlich die erste Senatorin mit dunkler Haut, die den wirtschaftlich so gewichtigen Westküstenstaat im Senat in Washington vertrat. Jetzt schreibt sie ein viertes Mal Geschichte als erste Nichtweiße, die von einer der beiden großen Parteien Amerikas für eines der beiden wichtigsten Ämter der Politik, das des Präsidenten oder des Vizepräsidenten, ins Rennen geschickt wird.

Dass Joe Biden, der Widersacher Donald Trumps, sie zum „Running Mate“ kürt, kommt alles andere als überraschend. Harris gehörte von vornherein zum Favoritenkreis. Die Juristin gilt als kampferprobt und debattenstark, sie weiß sowohl auszuteilen als auch einzustecken – unverzichtbare Qualitäten mit Blick auf die zu erwartende Schlammschlacht ums Weiße Haus. Die Proteste nach dem Tod George Floyds, das Aufbegehren im Zeichen von „Black Lives Matter“, haben die Forderung, endlich eine dunkelhäutige Kandidatin für die Vizepräsidentschaft zu nominieren, nur noch lauter werden lassen. Ohnehin stand Biden bei Afroamerikanern in der Pflicht, schließlich waren sie es, die ihm nach einem verpatzten Vorwahlstart auf der dritten Etappe in South Carolina zu einem glänzenden Comeback verhalfen.

Warum er Harris den Zuschlag gab, nicht der schwarzen Kongressabgeordneten Karen Bass, nicht Susan Rice, einer ehemaligen Sicherheitsberaterin im Weißen Haus, wird er wohl noch im Detail erklären. Fürs Erste beließ er es bei Worten, die eher nach Routine und weniger nach Geschichtsbuch klangen. Die Frau sei eine furchtlose Kämpferin für den kleinen Mann, schrieb er in einem Tweet. Kurz darauf wurde er persönlicher: Kamala Harris habe als kalifornische Justizministerin eng mit seinem Sohn Beau zusammengearbeitet, ihrem Amtskollegen in Delaware. Gemeinsam hätten sie es mit großen Banken aufgenommen, arbeitenden Menschen geholfen, Frauen wie Kinder vor Misshandlung geschützt. „Ich war damals schon stolz, und heute bin ich stolz, sie als Partnerin in meiner Kampagne zu haben.“ Der Tod Beau Bidens, der 2015 einem Krebsleiden erlag, hielt den Senior 2016 davon ab, sich fürs Oval Office zu bewerben. Die kollegiale Nähe des ältesten Sohnes zu Harris, das Vertrauen, das daraus erwuchs, könnte eine Rolle bei der Personal­entscheidung gespielt haben.

Allein schon mit ihrer Biografie steht die 55-Jährige, Tochter eines aus der Karibik stammenden Ökonomen und einer in Indien geborenen Krebsforscherin, für jenes weltoffene Amerika, das sich als Gegenentwurf zu Trumps Abschottung versteht. Ihr Vater Donald Harris, Wirtschaftswissenschaftler an der Stanford University, immigrierte aus Jamaika in die Vereinigten Staaten. Ihre Mutter Shyamala Gopalan, eine auf Brustkrebs spezialisierte Ärztin, wurde in Indien geboren. Als Kind besuchte Harris Gottesdienste sowohl in einem Hindutempel als auch in einer schwarzen Baptistenkirche. Welche Erfahrungen sie, selbst im scheinbar aufgeklärten Kalifornien, mit rassistischen Vorurteilen machen musste, hat sie eindrücklich geschildert. Nach der Scheidung ihrer Eltern verbrachten sie und ihre Schwester Maya die Wochenenden bisweilen beim Vater im Silicon Valley. „Die Nachbarkinder durften nicht mit uns spielen, weil wir Schwarze waren. In Palo Alto! Der Heimat von Google!“ Auf die High School ging sie im kanadischen Montreal, wo ihre Mutter eine Zeit lang lehrte.

Allein schon mit ihrer Herkunft erinnert sie an Barack Obama, den Weltbürger, der in Hawaii und Indonesien aufwuchs. Wie der Senkrechtstarter Obama wartete sie, nachdem sie im November 2016 in den US-Senat gewählt worden war, gerade mal zwei Jahre, ehe sie sich für das höchste Staatsamt bewarb. Dann war da noch, ähnlich wie bei Obama, dem Sohn einer weißen Mutter aus Kansas und eines schwarzen Vaters aus Kenia, die Frage nach ihrer Identität. Wie sie die als Tochter von Einwanderern beschreiben würde, wurde sie einmal gefragt. Die Antwort: „Ich sehe mich als stolze Amerikanerin.“

Parteiintern indes taugt sie wohl kaum zur Brückenbauerin, die die Linke um Bernie Sanders mit dem Zentristen Biden versöhnen könnte. Dazu besetzt sie selbst zu eindeutig die Mitte. Von 2004 bis 2010 war sie District Attorney von San Francisco, von 2011 bis 2017 Chefin des Justizressorts Kaliforniens. Aus dieser Zeit stammen Konflikte mit dem progressiven Flügel, die jederzeit wieder aufflammen können. Im Umgang mit Kriminalität setzte Harris auf Härte, weshalb sie in den Augen mancher Sanders-Anhänger bis heute „der Cop aus San Francisco“ ist. Beispielsweise plädierte sie für ein Gesetz, nach dessen Paragrafen die Eltern chronischer Schulschwänzer mit bis zu zwölf Monaten Gefängnis bestraft werden konnten. Als es darum ging, strittige Fälle zu untersuchen, in denen Polizisten von der Schusswaffe Gebrauch machten, bremste sie. Später, im US-Senat, schlug Harris liberalere Töne an. „Zu viele Amerikaner mit schwarzer und brauner Haut werden eingesperrt in einem Justizsystem, das dringender Reparaturen bedarf“, legte sie den Finger in die Wunde.

 Kamala Harris (l.) und ihre Schwester Maya machten bereits als Kinder Erfahrungen mit rassistischen Vorurteilen.  Foto: Kamala Harris campaign/AP

Kamala Harris (l.) und ihre Schwester Maya machten bereits als Kinder Erfahrungen mit rassistischen Vorurteilen. Foto: Kamala Harris campaign/AP

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Im Juni vor einem Jahr, gleich zum Auftakt der Fernsehdebatten der Bewerber, sorgte sie für Furore. Da warf sie Biden vor, allenfalls halbherzig für ein Ende der Rassentrennung im Schulbetrieb eingetreten zu sein. Ein kleines Mädchen, sagte sie, habe einst in einem der Busse gesessen, in denen schwarze Schüler zu der Schule gefahren wurden, in denen sie nunmehr gemeinsam mit weißen lernen sollten – „und dieses Mädchen war ich“. Der Jungsenator Biden habe lieber mit rassistischen Kollegen aus den Südstaaten kooperiert, statt sich für diese Busse ins Zeug zu legen. Damals kam der Kritisierte ins Schleudern. Heute legt Biden Wert auf die Feststellung, dass die Attacke keine Narben hinterließ. „Hege keinen Groll“, stand neulich auf einem seiner Notizzettel.

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