Joe Biden, der Kandidat der US-Demokraten bei der Präsidentschaftswahl Der gute Onkel von nebenan

Joe Biden profitiert bei seiner Präsidentschafts-Kandidatur von seiner Volksnähe und seinem Image als Gegenpol zu Donald Trump.

Kampf ums Weiße Haus: Joe Biden, der gute Onkel von nebenan
Foto: dpa/Andrew Harnik

Washington Nein, ein intellektuell anspruchsvoller Redner – wie es sein Vorgesetzter Barack Obama war – ist Joe Biden nicht. „Arme Kinder sind ebenso intelligent und begabt wie weiße Kinder“, sagte er beispielsweise in einer Wahlkampfrede im Bundesstaat Iowa. Dann dämmerte ihm, was er angerichtet hatte. „Reiche Kinder, schwarze Kinder, asiatische Kinder. Nein, ich meine das wirklich“, fügte er in einem wirren Wortsalat an, der die Kernaussage – Minderheiten sind arm – nicht viel freundlicher erschienen ließ. Doch als der 77-Jährige seine Ansprache beendete, hatte keiner der Fans den Raum vor der Bühne verlassen. Die Menge schert sich für gewöhnlich nicht um die Tendenz Bidens, die gedruckte Rede zu verlassen und dabei immer wieder verbal in Fettnäpfchen zu treten. Seine Anhänger ignorieren auch, dass der frühere Vizepräsident in seinem stets blauen Anzug und seiner dünnen Figur älter und zerbrechlicher aussieht, als er ist und dass die Frage, ob er überhaupt vier Jahre im Weißen Haus überstehen wird, stets unausgesprochen im Raum steht. Denn die Anhänger sehen – wie jene, die Biden nun wenige Tage vor der Wahl in den Umfragen einen deutlichen Vorsprung beschert haben – vor allem eines: den Anti-Trump. Einen aufrichtigen Mann irisch-katholischer Herkunft, der nach mehr als 40 Jahren im Dienste des Volkes staatsmännisch wirkt und für den gleichzeitig die Begriffe Mitgefühl und Respekt keine Fremdwörter sind.

Weniger wohlmeinende konservative Medien und Blogger in den USA pflegen die Attraktivität Bidens für den Wähler gerne so zu bilanzieren: Die Menschen votieren nicht für ihn, weil sie ihn lieben, sondern weil sie Donald Trump hassen. Das wird der Lebensleistung und der Attraktivität Bidens als ehrlicher Politiker, dem es leicht fällt, eine Verbindung zu jedem Gesprächspartner zu schaffen, nicht gerecht. Natürlich: Die extralange Senatskarriere von Joe Biden – von 1973 bis 2009 – bietet Kritikern jede Menge Material, das sich ausnutzen lässt. Wie beispielsweise seine Freundschaft mit Befürwortern der Rassentrennung oder seine Mitarbeit an jenem „Crime Bill“ von 1994, der dazu führte, dass am Ende überdurchschnittlich viele junge Afro-Amerikaner hinter Gitter landeten. Oder auch Bidens Tendenz, Frauen und jungen Mädchen gerne übers Haar zu streichen und ihnen gelegentlich eine Spur zu nah zu sein.

Während die Coronavirus-Pandemie dazu geführt hat, dass die Wahlkampfmanager ihren Schützling nicht mehr ermahnen müssen, sich im persönlichen Kontakt zurückzuhalten, wissen junge Wähler mit vor ihrer Geburt verabschiedeten Gesetzen in der Regel nicht viel anzufangen. Hier gibt der Faktor Zeit Biden einen Vorteil, denn seine Politik war weder durchgängig konsequent noch so progressiv, wie es heute der linke Flügel seiner Partei und vor allem die Bernie-Sanders-Fraktion verlangt. Das zeigt auch das Thema Fracking, bei dem sich Joe Biden – der schnell wieder zum Pariser Klimaabkommen zurückkehren möchte, eine Polizeireform unterstützt und höhere Steuern für Besserverdienende plant – in Widersprüche verwickelt hat.

Profitiert hat Biden in den letzten Monaten allerdings auch davon, dass ihn sein Helferteam weitgehend in seinem Haus in Delaware abgeschirmt hat und er erst jetzt – in der heißen Endphase des Wahlkampfs – aktiver in das Geschehen eingegriffen hat. Das alles nach der Devise: Biden führt landesweit deutlich in den Umfragen. Es ist seine Wahl, die er am 3. November zu verlieren hat – warum also das Risiko von Versprechern, zu dem der Kandidat zweifellos neigt, maximieren? Zu jenen neigt er jedenfalls nicht, wenn er als festen Bestandteil jeder Rede die volkstümlichen Weisheiten rezitiert, die ihm einst sein Vater mit auf den Weg gegeben hat. „Joe, ein Job ist mehr als nur einen Scheck nach Hause zu bringen. Es geht auch um deine Würde. Es geht darum, deinen Kindern in die Augen sehen zu können und zu sagen: Alles ist ok.“ Worte wie diese sind es, die Joe Biden zum „Uncle Joe“ (US-Medien) machen – jener Onkel, der nur Freunde kennt und dem es leicht fällt, einen Draht auch zu unbekannten Menschen vor allem der arbeitenden Mittelklasse zu finden.

Dabei hilft auch die große persönliche Tragödie im Leben des Joe Biden, die ebenfalls Bestandteil seiner Wahlkampfrede geworden ist. Seine erste Frau Neilia und seine einjährige Tochter Naomi starben 1972 bei einem Autounfall mit einem Lkw. Die Söhne Beau und Hunter überlebten schwerverletzt, doch Beau erlag 2015 im Alter von 46 Jahre einem Gehirntumor. An seiner Beisetzung nahmen die Präsidenten Barack Obama und Bill Clinton teil. Noch heute bricht Joe Bidens Stimme fast immer, wenn er über den Tod seiner Kinder spricht. Auch dies macht ihn – im Gegensatz zum so gut wie immer emotionslos und kalt wirkenden Donald Trump – für seine Wähler und jene, die eine Unterstützung erwägen, zu einem Mitgefühl verdienenden Menschen, den das Leben nicht geschont hat. Allerdings muss Biden auch damit umgehen, dass ausgerechnet Sohn Hunter zu einem politischen Ballast geworden ist, den ein Teil der Republikaner und vor allem das Trump-Lager auszunutzen versuchen.

Bis heute ist ungeklärt, ob der damals unter Obama auch für die Ukraine-Kontakte zuständige Vizepräsident seine Beziehungen zu Kiew dazu nutzte, dem damals unter Job- und Drogen-Problemen leidenden Hunter einen gutdotierten Job beim ukrainischen Energiekonzern Burisma zu verschaffen. Sowohl The New Yorker als auch politico, beides politisch unverdächtige Magazine, widmeten sich in der Vergangenheit fragwürdigen Geschäften von Hunter Biden im Ausland, der offenbar stets versuchte, von seinem Vater zu profitieren. Jüngst aufgetauchte Emails scheinen zu belegen, dass Hunter einem ukrainischen Geschäftsmann ein Treffen mit Joe Biden vermittelt hatte – obwohl der Kandidat stets beteuert hatte, von den Geschäften des Sohnes keine Ahnung zu haben.

Während das Biden-Lager diese unerwünschten Schlagzeilen entweder als „unbewiesen“ oder als „russische Wahlbeeinflussung“ abzutun versucht, spricht nicht viel dafür, dass diese Familienprobleme die Wahl in den kommenden Tagen noch maßgeblich beeinflussen werden. Denn am Ende gilt für viele liberale Bürger immer noch die Messlatte Donald Trump. Und gegen den amtierenden Präsidenten wirkt „Uncle Joe“ mit seinen mutmaßlichen Verfehlungen fast wie ein unbescholtener Chorknabe.

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