Johnson unter Druck Im Brexit-Drama bahnt sich die nächste Runde an

London · Wenn es um den Brexit geht, sind gewöhnlich auch Deadlines nicht weit. Das politische Instrument des Ultimatums wurde in den Verhandlungen rund um Großbritanniens EU-Austritt sowohl von London wie Brüssel oft genutzt, um dann genauso häufig wieder verworfen zu werden.

 Steht an mehreren Fronten unter Druck: Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien.

Steht an mehreren Fronten unter Druck: Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien.

Foto: dpa/Tolga Akmen

Nun bahnt sich die nächste Verlängerung an. Obwohl die EU angestrebt hatte, bis zum 15. November die Gespräche um ein künftiges Handelsabkommen abzuschließen, dürfte sich der Poker weiter hinziehen. „Der wirkliche Stichtag ist Ende nächster Woche”, hieß es jetzt von einem EU-Diplomaten. Abermals drängt die Zeit, da im Falle einer Einigung die Parlamente ausreichend Zeit brauchen, um das Abkommen zu ratifizieren. Doch auch wenn die Partner dieser Tage optimistischer klingen als zuletzt, gebe es noch erhebliche Differenzen, betonen sowohl EU-Chefunterhändler Michel Barnier wie auch sein britischer Counterpart David Frost.

Am 31. Dezember endet die Übergangsphase, in der das Königreich Mitglied des Binnenmarkts bleibt und zur Zollunion gehört. Würden die Briten wirklich so weit gehen und inmitten der Corona-Krise einen No Deal riskieren? Eigentlich kann es sich Premierminister Boris Johnson kaum leisten, seinem Land einen weiteren Stresstest zuzumuten. Die Wirtschaft befürchtet ab Anfang 2021 Chaos und steigende Zölle. „Es wird zu Beeinträchtigungen und Verzögerungen kommen, ob wir ein Abkommen haben oder nicht“, sagt der Politikwissenschaftler Tim Bale von der Queen Mary Universität.

Als Knackpunkte in den Verhandlungen gelten vor allem die Garantien für einen fairen Wettbewerb, insbesondere wenn es um künftige Staatshilfen für britische Unternehmen geht, die die EU begrenzen will. Brüssel fordert die gleichen Sozial- und Umweltstandards im Gegenzug für den künftigen Zugang zum Binnenmarkt. Umstritten ist zudem die Frage der Aufsicht über das Abkommen. Und dann wäre da noch der Fisch. Wirtschaftlich ist das Thema zwar unbedeutend, aber politisch aufgeladen und hoch symbolisch für Briten und europäische Fischereinationen wie Frankreich.

Doch bei allen Streitereien um die Details sei der Disput vor allem politisch motiviert, sind sich Brexit-Experten einig. Denn Boris Johnson steht unter massivem Druck. Nicht nur, dass der EU-Freund Joe Biden die US-Wahlen gewonnen hat und demnach ein Abkommen zwischen Großbritannien und den USA auch von einer Einigung mit der EU bei der Nordirland-Frage abhängen dürfte. In Johnsons eigenen konservativen Reihen rebellieren die europaskeptischen Hardliner bereits über die strikten Corona-Maßnahmen und die schlechte Kommunikation der Regierung. Weitreichende Zugeständnisse an Brüssel könnten das Fass zum Überlaufen bringen.

Derweil geht es in der Downing Street drunter und drüber. Ein Machtkampf ist entbrannt zwischen verschiedenen Gruppen in der Führungsmannschaft. Am Mittwochabend kündigte Kommunikationschef Lee Cain nach einem bitteren Zwist über eine Beförderung nicht ganz freiwillig seinen Rücktritt zum Jahresende an. Er gehört zu Johnsons engstem Zirkel – wie der umstrittene Top-Berater Dominic Cummings. Deren „unverschämtes und autoritäres“ Regime ist Kritikern auch in der Regierung schon länger ein Dorn im Auge. Das Drama sorgt in einer Zeit, in der die Brexit-Uhr lauter denn je tickt, das Land in einer Rezession steckt und von der Pandemie getroffen ist wie kaum ein anderes, für besonders laute Kritik. „Am Tag, an dem das Königreich als erstes Land in Europa 50 000 Corona-Tote meldet und die Öffentlichkeit einen weiteren Lockdown durchleidet, kämpft Boris Johnsons Regierung wie Ratten in einem Sack darum, wer welchen Job bekommt“, schimpfte etwa Labour.

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