Prigoschin nach Flugzeugabsturz für tot erklärt So etwas vergibt Putin nicht
Meinung · Genau zwei Monate nach seinem Putschversuch ist der Söldnerchef Jewgeni Prigoschin allem Anschein nach bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Was die Umstände über das System Putin verraten. Und was das für den Fortgang des Ukrainekriegs bedeutet.
Vieles ist noch unklar am mutmaßlichen Tod des Söldnertruppen-Chefs Jewgeni Prigoschin, doch gerade das ist typisch für das System Putin: Auf den Tag genau zwei Monate nach dem kurzen Aufstand von Prigoschins Kämpfern gegen die Militärführung in Moskau stürzt ein Flugzeug ab, auf dessen Passagierliste Prigoschins Name steht. Das ähnelt einem Bekennerschreiben aus Moskau. Der Wagner-Chef hat mit seinem wilden Zug Richtung Kreml den dortigen Herrscher schwach und ängstlich erscheinen lassen. So etwas vergibt Putin nicht. Dass er Rache nehmen würde, haben Experten erwartet, nur dass es so schnell gehen würde, hat viele überrascht.
Auch Verschwörungstheorien über Prigoschin im Umlauf
So dürfte es in Putins Sinne sein, dass die Weltöffentlichkeit gleich nach der Nachricht vom Flugzeugsabsturz mutmaßte, Putin habe seinen früheren Freund und später ärgsten Feind umbringen lassen. Vor aller Augen, ein spektakulärer Todessturz aus dem Himmel. Zugleich ist so viel unklar, dass alle möglichen Theorien – und Verschwörungstheorien im Umlauf sind. Und nicht widerlegt werden können. Natürlich könnte Prigoschin seinen Tod auch vorgetäuscht haben, um Spielraum zu gewinnen – auch wenn zu fragen wäre, wie ein Söldnertruppen-Chef dann weiter in seiner Welt agieren sollte.
Theoretisch könnten auch andere Kräfte mitgemischt haben, und so sind auch solche Spekulationen in der Welt. Einerseits Indizien zu streuen, deutliche Pfade Richtung Moskau zu legen, unerbittliche Rachelust zu demonstrieren und andererserseits Deutungsräume für aberwitzige Theorien zu lassen, sorgt für maximale Verunsicherung, für Angst und Schrecken. Das ist das Ziel von Terror. Mit diesem Machtmittel hält Putin sein Land in Schacht und kann seinen Krieg immer weiter führen, egal wie viel Menschenleben er noch kosten, wie viel Leid über die Region bringen wird.
„Der Mord an Prigoschin wird katastrophale Folgen haben“
Putin wird den Fall nutzen, die Reaktionen seiner Feinde innerhalb und außerhalb des Kreml zu studieren. Die erste Reaktion des amerikanischen Präsidenten dürfte ihn mit Genugtuung erfüllt haben. Biden hatte sich nicht überrascht gezeigt und gesagt, es gebe „nicht viel, was in Russland passiert, hinter dem Putin nicht steckt“. Genau diese Allmacht wollte Putin vermutlich demonstrieren. Dass er nach seiner offensichtlichen Schwäche vor zwei Monaten nun bereits glaubt, so weit zu sein, seine absolute Herrschaft über Staatsapparat, Militär und Bevölkerung auf diese Weise zum Ausdruck zu bringen, verrät viel über das System Putin. Anscheinend hat er das Netzwerk aus Gefolgsleuten so gebaut, dass es ihm schnell möglich war, seine Feinde auszumachen.
Das Verschwinden hochrangiger Militärs in den vergangenen Wochen ließ die „Säuberungen“ erkennen. Doch bleibt abzuwarten, ob Putin auch die Stimmung in seinem Militär außerhalb der engsten Machtzirkel richtig einschätzt. „Der Mord an Prigoschin wird katastrophale Folgen haben“, schrieb der Militärjournalist Roman Saponkow auf dem Kanal Telegram. „Die Leute, die den Befehl gegeben haben, verstehen nichts von der Stimmung in der Armee und ihrer Moral.“ Prigoschin hatte es immer wieder gewagt, die reguläre russische Armeeführung wüst zu beschimpfen, deren Taktik und vor allem den mangelnden Waffennachschub zu kritisieren und das Vorgehen seiner eigenen Söldner zu preisen. Wegen seines Vorgehens auf dem Schlachtfeld war er beliebt bei Soldaten.
Putin denkt in Kategorien von Rache und Verrat
Prigoschin inszenierte sich und seine Leute als Helden, lieferte der russischen Öffentlichkeit Schuldenböcke für ausbleibende „Erfolge“ im Angriffskrieg gegen die Ukraine. Von Putins Verantwortung hat das eine Zeit lang abgelenkt. Der brutale Kämpfer Prigoschin erfüllte seine Funktion. Es bleibt abzuwarten, ob sein Tod nun noch einmal gegen Putin mobilisiert oder ob das nur neuerliche Rachefantasien derer sind, die in Prigoschin einen Held sehen wollen.
Putin, das zeigt der mutmaßliche Tod Prigoschins auch, dürfte das revolutionäre Potenzial im eigenen Land für überschaubar halten. Auch, weil er die Führungsfiguren für jeden weiteren Protest ausschalten ließ. Gefährlich werden könnte ihm nur, wenn ein jetzt noch Unbekannter aus dem Unmut im Militär an die Spitze eines Aufstands gespült würde. Aber das ist Spekulation.
Der Westen muss nun seinerseits die Reaktionen in Russland studieren, weil sie weitere Erkenntnisse über das System Putin liefern werden. Für den Fortgang des Ukrainekriegs bedeutet das alles vor allem eins: Es ist weiter mit einem Aggressor zu rechnen, der in Kategorien von Rache und Verrat denkt und auf das Machtmittel Terror setzt. Nach innen wie nach außen.