Gipfel in Brüssel Die EU legt London an die Leine

Brüssel · Die Briten dürfen länger bleiben, sollen aber die Union nicht blockieren können – das zeichnete sich beim Brexit-Sondergipfel gestern Abend in Brüssel ab.

 Die britische Premierministerin Theresa May konnte gestern bei ihrem Eintreffen auf dem EU-Sondergipfel in Brüssel darauf hoffen, dass ihr die übrigen Staats-und Regierungschefs einen Aufschub beim Brexit gewähren.

Die britische Premierministerin Theresa May konnte gestern bei ihrem Eintreffen auf dem EU-Sondergipfel in Brüssel darauf hoffen, dass ihr die übrigen Staats-und Regierungschefs einen Aufschub beim Brexit gewähren.

Foto: dpa/Stefan Rousseau

Theresa May schafft es immer wieder, ihre europäischen Amtskollegen zu verstimmen. Zwar redete die britische Premierministerin gestern Abend vor den 27 EU-Staats- und Regierungschefs eine geschlagene Stunde, berichtete auch über ihre Gespräche mit Labour-Chef Jeremy Corbyn. „Aber wirklich Überraschendes kam nicht von ihr“, sagte ein Gipfelrunden-Teilnehmer danach. Sie bat um eine Verlängerung für den Brexit bis zum 30. Juni, zeigte sich aber auch für mehr Zeit offen. Dass es eine Verschiebung über den eigentlichen Austrittstermin am Freitag hinaus geben würde, schien gestern Abend sicher. Nur wie lange, das war die Frage.

Die Regierungschefin des Vereinigten Königreiches habe wie eine „Schülerin vor einem Prüfungskomitee“ gesessen und habe zu Fragen Stellung genommen, „ohne Antworten zu geben“. Als der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki wissen wollte, was May denn auf dem Weg zu einer Mehrheit helfen würde, sagte sie, die politische Erklärung, die dem Austrittsabkommen beigefügt ist, solle „noch klarer“ ausfallen. Das Dokument wurde allerdings schon mehrfach überarbeitet, um es „klarer“ zu machen.

Spätestens nach diesem Beginn des abendlichen Sondergipfels dürften die 27 Staatenlenker der EU gewusst haben, warum ihr Vorsitzender, EU-Ratspräsident Donald Tusk, die Idee einer längeren Verlängerung ins Spiel brachte, um nicht – wie er es selbst sagte – „immer wieder neue Sondergipfel und immer neue Fristen“ auf dem Tisch zu haben. Doch gleichzeitig wollte die Runde einen Weg finden, um den Druck auf das Vereinigte Königreich hoch zu halten. Den gibt es ohnehin durch die Europawahlen. Dass die Briten an dieser Abstimmung teilnehmen, will eigentlich niemand, vor allem um zu verhindern, dass lustlose oder europakritische Volksvertreter von der Insel an den wichtigen Weichenstellungen in der neuen Abgeordnetenkammer teilnehmen – oder sie sogar sabotieren.

Während der französische Staatspräsident Emmanuel Macron im Vorfeld sogar die Idee eines „Katzentisches“ ins Gespräch gebracht hatte, an dem Großbritannien mit einer Art Gästestatus Platz nehmen sollte, sammelte Tusk Vorschläge, wie es denn gehen könnte: Bei Voten, für die Einstimmigkeit nötig ist, solle die britische Stimme nicht zählen. Ein weiterer Vorschlag lautete, die britischen Abgeordneten müssten sich bei wichtigen Sach- und Personalentscheidungen zurückhalten. Die Verlängerung, so hieß es im Entwurf des Schlussdokumentes, dürfe nicht dazu dienen, „das ordentliche Funktionieren der Unionsinstitutionen zu untergraben“. London müsse „von jeglicher Maßnahme absehen, die das Erreichen der Unionszielen gefährden könnte“. Mit solchen Formulierungen sollte sichergestellt werden, dass Großbritannien nicht die Regie über die Europäische Union zurückgewinnt.

Theresa May hatte, bevor sie den Tagungssaal mit den 27 Amtskollegen verließ, vor allem diese Bitte: Jede Fristverlängerung müsse die Möglichkeit enthalten, auch früher aus der EU auszuscheiden, sobald es im Unterhaus eine Mehrheit für einen Deal gebe. Das war nun eine Bitte, die ihr gerne jeder erfüllen mochte.

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