Ein Jahr Greta Thunberg Die Wachrüttlerin

Stockholm · Vor einem Jahr streikte Greta Thunberg zum ersten Mal fürs Klima. Aus ihrem einsamen Protest ist schnell eine internationale Bewegung geworden. Doch es gibt Gegenwind.

 Wenn Greta Thunberg über Klimaschutz redet, hören alle zu, wie hier bei einer Fridays-for-Future-Demonstration am 19. Juli in Berlin.

Wenn Greta Thunberg über Klimaschutz redet, hören alle zu, wie hier bei einer Fridays-for-Future-Demonstration am 19. Juli in Berlin.

Foto: dpa/Paul Zinken

Vor einem Jahr hockte sich ein damals 15-jähriges Mädchen vor den Reichstag in Stockholm, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. Ihren Namen kannte damals kaum jemand: Greta Thunberg. Heute ist die junge Schwedin eines der bekanntesten Gesichter der Erde, ihrem Vorbild zum Klimaprotest folgen Abertausende vor allem junger Menschen in aller Welt, besonders viele davon in Deutschland. Aus dem stillen Protest einer Einzelnen vom 20. August 2018 ist innerhalb eines Jahres eine Weltbewegung geworden – und aus dem einst unbekannten Mädchen eine Kandidatin für den Friedensnobelpreis.

„Ich habe mir damals gedacht, dass ich etwas tun muss“, sagte Thunberg kürzlich in einem schwedischen Podcast einer Mitschülerin. Nachdem sie sich lange mit Klimawandel und Erderwärmung beschäftigt habe, sei sie an der Erkenntnis verzweifelt, dass niemand etwas für das Klima unternehme. Also setzte sie sich vors Parlament. Die Leute seien zunächst einfach so an ihr vorbeigegangen, ohne ihr Beachtung zu schenken, sagt sie rückblickend. „Das war ein hoffnungsloses und einsames Gefühl. Aber auch ein ziemlich hoffnungsvolles, dass ich etwas mache.“

Nach kurzer Zeit entschloss sich die Schülerin, die Aktion immer freitags abzuhalten. Was folgte, ist bekannt: Mit regelmäßigen Einträgen auf Twitter, Facebook und Instagram begeisterte sie Schüler in verschiedenen Ländern dafür, ihrem Beispiel zum Klimaprotest zu folgen. Auftritte wie der auf der Weltklimakonferenz im polnischen Kattowitz oder der auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos („Ich will, dass ihr in Panik geratet. Ich will, dass ihr handelt, als würde euer Haus brennen, denn das tut es.“) taten ihr Übriges. Mittlerweile wird jeden Freitag in rund 100 Ländern regelmäßig fürs Klima protestiert.

In Deutschland ist die Bewegung, die sich den Titel Fridays for Future gegeben hat, besonders stark gewachsen. Erste größere Proteste gab es bereits im Dezember 2018. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“, skandieren junge Deutsche immer freitags, um die Bundesregierung zu einem beherzteren Einsatz gegen die Klimakrise aufzurufen. Dreimal war Thunberg bislang selbst bei Protesten in Deutschland dabei, erst in Hamburg, dann zweimal in Berlin. Vor wenigen Tagen besuchte sie erstmals den Braunkohletagebau Hambach – mit dem umkämpften Hambacher Forst wohl der symbolträchtigste Ort der deutschen Klimabewegung.

Der Ruf der Klimademonstranten ist längst in Bundestag und Kanzleramt angekommen, Debatten wie die über eine CO2-Steuer sind die Folge. Damit hat Thunberg letztlich auch die deutsche Gesellschaft verändert. „Greta und Fridays for Future haben sicherlich die Politik und Öffentlichkeit aufgeweckt“, sagt Klimaforscher Stefan Rahmstorf. „Die Debatte in Deutschland hat sich verändert, viele nehmen das Thema jetzt erstmals ernst.“ Ob daraus konkrete politische Maßnahmen gegen die Klimakrise entstehen, müsse sich aber erst noch zeigen.

In den vergangenen Monaten ist Thunberg mit Preisen überhäuft worden, unter anderem erhielt sie die höchste Auszeichnung von Amnesty International. Manche sehen in ihr bereits die nächste Friedensnobelpreisträgerin. Sie traf Menschen wie Ex-US-Präsident Barack Obama und den Papst, Lob gab es unter anderen vom Dalai Lama.

Aber nicht jeden kann Thunberg mit ihrer Botschaft abholen. Zu krass ihre Ideale, zu groß die Angstmache vor der Klimakrise, meinen manche. In einem Beitrag in der australischen Zeitung Herald Sun wurde sie letztens gar als „der zutiefst verstörte Messias der Erderwärmungsbewegung“ bezeichnet. „Ich habe noch nie ein so junges Mädchen mit so vielen psychischen Störungen gesehen, das von so vielen Erwachsenen wie ein Guru behandelt wird“, schrieb der Kolumnist Andrew Bolt über die junge Schwedin und ihre Asperger-Erkrankung, die Thunberg selbst als Vorteil bezeichnet.

Thunberg lächelt solche Beleidigungen weg, auch wenn immer wieder durchklingt, dass solche Attacken nicht so leicht für eine 16-Jährige zu verdauen sind. „Man kann heute nicht mehr für etwas Gutes stehen, ohne dafür infrage gestellt zu werden, Todesdrohungen zu erhalten und gehasst zu werden. Es ist sehr traurig, wohin wir da gekommen sind“, sagte sie in dem Podcast. „In jüngster Zeit gab es eine gewaltige Polarisierung in der Gesellschaft, nach dem Motto, du bist entweder für Greta oder gegen sie.“ Mit einem Lächeln sagt sie aber auch: „Die meiste Kritik ist eigentlich ziemlich lustig.“ Sie zeige letztlich nur, dass ihren Gegnern die Argumente fehlten.

Die Kritik von vielen Seiten beweist auch: Die Klimaschutzbewegung wird nicht mehr bloß belächelt. Die Weltöffentlichkeit verfolgt Thunberg mittlerweile auf Schritt und Tritt. Fotos von Thunberg neben vermummten Aktivisten im besagten Hambacher Forst lösen somit sofort Diskussionen aus, ebenso Berichte, es habe auf einer Fridays-for-Future-Konferenz in Lausanne Streit über einen Forderungskatalog der Bewegung gegeben. Das Klima ist stärker in den medialen Fokus gerückt – die Personen hinter der Bewegung aber auch.

Unabhängig davon konzentriert sich Greta Thunberg nun auf ihre nächste Mission: Mit einer Hochseejacht ist sie am vergangenen Mittwoch in Richtung USA gestartet. Drüben auf der anderen Atlantikseite beginnt die nächste Phase in ihrem Klimakampf, es warten unter anderem der Klimagipfel der Vereinten Nationen in New York im September und die Weltklimakonferenz in Chile im Dezember auf sie. Rund um den New Yorker Gipfel wird weltweit in einer Aktionswoche besonders ausdrücklich fürs Klima gestreikt – mit der Initiatorin erstmals in der Welthauptstadt. Thunberg nimmt für all das ein Jahr Schulpause, um sich in Übersee ausschließlich aufs Klima konzentrieren zu können.

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