Brexit-Interview mit Friedbert Pflüger „Aus dem Humor der Engländer wird Spott“

Berlin · Der Ex-Staatssekretär über die Veränderung der politischen Kultur durch den Brexit – und seine Hoffnung.

  Für ein zweites Referendum: CDU-Mann Friedbert Pflüger.

Für ein zweites Referendum: CDU-Mann Friedbert Pflüger.

Foto: Pflüger International/Anno Dittmer/Faceland

Der frühere Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Friedbert Pflüger, ist seit 2009 Gastprofessor am King’s College in London. Der 64-jährige langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete erklärt, wie sehr der Brexit-Streit Großbritannien verändert hat.

Immer noch Brexit-Chaos in London. Was macht dieser endlose Streit mit der politischen Kultur des Vereinigten Königreichs?

PFLÜGER Sie steckt in einer tiefen Krise. Pragmatismus, Vernunft, Maß, Achtung des Andersdenkenden, diese großartigen Tugenden werden derzeit zurückgedrängt. Misstrauen, Übertreibung, Lüge und Verleumdung sind im Vormarsch. Das Parlament wird von Regierungsmitgliedern beschimpft, die Königin in die Irre geführt. Aus dem gelassenen Humor der Engländer wird verletzender Spott unter der Gürtellinie. Tieftraurig. Aber: Parlament und oberstes Gericht wehren sich. Gerade durch meine Erfahrungen hier in London bin ich zuversichtlich: Die Kräfte der Demokratie werden sich als stärker erweisen, am Ende wird die Vernunft siegen.

Wie kann diese zerrissene Gesellschaft überhaupt wieder zusammenkommen?

PFLÜGER Am besten wäre ein zweites Referendum im Licht der Fakten und Informationen, die seit 2016 deutlich wurden. Im Gegensatz zu damals gibt es heute eine Ahnung von den dramatischen Einschnitten im Leben der Briten. Aber auch ein Last-minute-Konsens im Parlament über Bedingungen für einen geordneten Brexit könnte Brücken bauen.

Sehen Sie die Möglichkeit, dass das Vereinigte Königreich am Ende zerfällt?

PFLÜGER Ja. Die Schotten werden es sich im Falle eines harten Brexits nicht nehmen lassen, ein zweites Referendum über ihre Unabhängigkeit zu veranstalten. Die Irlandfrage wird erneut aufbrechen, niemand kann eine Rückkehr von Hass und Gewalt ausschließen. Es ist tragisch, wie schnell einige offenbar das enorme Leid des IRA-Terrors vergessen und den erst 1998 erreichten und stets fragilen Frieden heute irrtümlich für selbstverständlich halten.

Viele Briten scheinen die Europäische Union ja regelrecht zu hassen. Bekommen das auch Ausländer in England zu spüren, auch Sie als Deutscher?

PFLÜGER Ich erlebe bei mir am King’s College London das genaue Gegenteil. Wir werden überall ermutigt, uns auch weiter hier zu engagieren. Wenn es um Sicherheit, um Energie, Klima und viele andere Fragen geht – das sind die Fragen, mit denen ich mich hier beschäftige –, dann gibt es doch keine vernünftige Alternative zur Zusammenarbeit. Das Problem ist, dass es in London dafür eine große Mehrheit gibt, aber nicht im übrigen Land.

Es sind britische Konservative, die das Chaos vor allem verantworten. Schämt man sich als CDU-Mitglied für seine britischen Freunde?

PFLÜGER Die Tories haben der Europäischen Volkspartei und der CDU schon 2009 den Rücken gekehrt. Damit begann übrigens das Elend. Zum Glück aber gibt es nach wie vor sehr vernünftige Tories, auch bei denen, die für den Brexit sind. Boris Johnson allerdings fühle ich mich in keiner Weise verbunden.

Wie soll Europa nach dem Brexit mit den Briten umgehen? Sie immer wieder umwerben, in der Hoffnung, dass sie eines Tages doch in die EU zurückkehren? Oder hart sein?

PFLÜGER Selbst nach einem harten Brexit bleibt Großbritannien ein Teil Europas. Wir arbeiten ja auch dann zum Beispiel in der Nato und in vielen anderen internationalen Organisationen zusammen. Es ist deutsches Interesse, dass London in jedem Fall ein enger Partner bleibt. Aber noch hoffe ich, dass zumindest ein No-Deal-Brexit verhindert wird.

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