Flüchtlinge in der Türkei Europa und der neue Grenz-Schock

Brüssel · Die EU-Spitze will ins griechisch-türkische Grenzgebiet reisen – doch mit einer Antwort auf Erdogan tut sie sich schwer.

 Jenseits der türkischen Grenze zu Griechenland – wie hier in Edirne – harren tausende Menschen aus. Um sie ist ein politischer Streit entbrannt.

Jenseits der türkischen Grenze zu Griechenland – wie hier in Edirne – harren tausende Menschen aus. Um sie ist ein politischer Streit entbrannt.

Foto: AP/Emrah Gurel

Familien, die in der türkischen März-Kälte ausharren, junge Männer, die Europa auf Plakaten um Hilfe bitten, nachdem Präsident Erdogan den Weg in die EU für geöffnet erklärt hat – die Eskalation an der griechisch-türkischen Grenze hat die Europäische Union völlig unvorbereitet erwischt. Noch am Montag tat sich die EU-Kommission schwer, den Eindruck mangelnder Vorbereitung zu verwischen. Zwar gab es eine erste Solidaritätsadresse Richtung Athen. Außerdem reisen an diesem Dienstag die drei Präsidenten Ursula von der Leyen (Kommission), Charles Michel (Rat) und David Sassoli (Parlament) an die griechische Grenze, wo sich je nach Quelle zwischen 10 000 und 80 000 Menschen aufhalten sollen. Aber auch das ist nur eine halbe Reaktion, denn eigentlich hatte von der Leyen ohnehin einen Besuch bei dem südlichen EU-Nachbarn geplant – allerdings auf die völlig überlastete Insel Lesbos, wo tausende Flüchtlinge in überfüllten Lagern leben und die Einwohner gegen weitere Ankömmlinge protestieren.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte am Samstag verkündet, die Türkei habe für die Flüchtlinge im Land die Grenzen geöffnet. Daraufhin machten sich tausende Menschen auf den Weg an die Grenze. Die Türkei hat seit Beginn des Bürgerkriegs im Nachbarland Syrien rund 3,6 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Dazu kommen viele Migranten und Flüchtlinge aus Afghanistan und anderen Ländern.

Nur langsam kam seit Samstag der EU-Apparat in Bewegung. Die Kommissionspräsidentin und der EU-Ratspräsident telefonierten mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan – ohne Ergebnis. Der bulgarische Ministerpräsident Bojko Borissow lud sich für Montagabend selbst zum Abendessen in Ankara ein, um zwischen Erdogan und der EU zu vermitteln. Man wolle „Handlungen erörtern, die zur Bewältigung der Krise und zum Stopp des Migrationsdrucks beitragen“.

Währenddessen wurden die EU-Außenminister für Donnerstag zu einer Sondersitzung nach Brüssel beordert. Die Innenminister der Gemeinschaft sollen vermutlich am Freitag folgen. Das klingt nicht gerade nach großer Eile, obwohl die dringend nötig wäre. Denn die EU-eigene Grenzschutzagentur Frontex schickte den politischen Spitzen der EU schon am Wochenende ein Papier, in dem es offen heißt, es seien „Massenmigrationsströme“ in Richtung Europa zu erwarten. Ein Stopp des „massenweisen Zustroms von Menschen“ in Richtung Griechenland sei schwierig. In den kommenden Tagen müsse mit einem weiteren „Anstieg des Drucks gerechnet werden“. Das gelte, so Frontex weiter, auch für den Fall, dass die Türkei einlenke, „um Grenzübertritte zu verhindern“. Frontex akzeptierte inzwischen die Bitte der griechischen Regierung nach Unterstützung.

Kommissionschefin von der Leyen kritisierte das Verhalten der Türkei am Montag scharf zurück. Zwar erkenne sie an, dass das Land am Bosporus mit Blick auf die Migranten und Flüchtlinge in einer schwierigen Situation sei. „Aber was wir jetzt sehen, kann nicht die Antwort oder Lösung sein.“

Derweil häuften sich in Brüssel die Appelle, die Situation von 2015 dürfe sich nicht wiederholen. EVP-Chef Manfred Weber (CSU) appellierte an von der Leyen, die Tagesordnung der Kommissionssitzung am Mittwoch zu korrigieren. Eigentlich ist geplant, die Details des EU-Klimaschutzplans in Anwesenheit der Klima-Aktivistin Greta Thunberg zu diskutieren. Weber: „Der Schwerpunkt sollte nicht auf den Bildern von Vizepräsident Frans Timmermans mit Greta Thunberg liegen, sondern auf den Sorgen von Millionen Europäern um den Schutz unserer Außengrenze.“

 EU-Grenze_zur_Tuerkei

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Foto: SZ/Steffen, Michael

Ein Hintergrund der Krise ist dabei die EU-Migrationspolitik selbst. Seit Jahren wird etwa um die Verteilung von Asylsuchenden verhandelt, gestritten – und wenig entschieden. Die Reform der Dublin-Regeln, nach denen meist jener EU-Staat zuständig ist, auf dessen Boden ein Schutzsuchender europäischen Boden betreten hat, ist gescheitert. Griechenland fühlt sich mit den Aufnahmen allein gelassen, Ungarn, Polen, Tschechien und Österreich wollen sich nicht zur Aufnahme verpflichten lassen. So lange der Flüchtlingsdeal mit der Türkei hielt, fiel das nicht so sehr auf. Mit Erdogans Reaktion gerät die EU neu unter Druck.

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