Erster Test einer Atombombe Als die Sonne über New Mexico zweimal aufging

Tularosa · Die erste Atombombe explodierte am 16. Juli 1945 auf dem US-Testgelände Trinity. Die Menschen, die sich damals in der Umgebung aufhielten, berichten nun von den Spätfolgen.

 Eine gigantische pilzförmige Wolke türmte sich am 16. Juli 1945 über der Wüste des US-Bundesstaats New Mexico auf. Es war die erste Atombombenexplosion in der Geschichte. Sie hatte gravierende Folgen.

Eine gigantische pilzförmige Wolke türmte sich am 16. Juli 1945 über der Wüste des US-Bundesstaats New Mexico auf. Es war die erste Atombombenexplosion in der Geschichte. Sie hatte gravierende Folgen.

Foto: dpa

Der Tag begann wie jeder andere auch. Henry Herrera stand mit Eimer und Trichter am alten Ford seines Vaters. Der arbeitete auf dem Luftwaffenstützpunkt Holloman, etwa vierzig Kilometer entfernt von Tularosa, dem Dorf, in dem sie lebten. Bevor der Ingenieur zur Arbeit fuhr, ließ er seinen Sohn den Kühler mit Wasser auffüllen. Auch am 16. Juli 1945, einem Montag. An einem Tag, der ganz normal begann, bis sich auf einen Schlag alles änderte. „An dem Tag“, sagt Henry Herrera, damals elf Jahre alt, „ist die Sonne zweimal aufgegangen“.

Das erste Mal um halb sechs, früher als normal. Plötzlich habe ein greller Blitz die Landschaft erhellt. Es habe ohrenbetäubend geknallt, dann habe die Erde gebebt, erzählt der alte Mann. Explosionen, nun ja, die hätten irgendwie dazugehört zum Alltag in Tularosa. Auf der Alamogordo Bombing and Gunnery Range, im militärischen Sperrbezirk in der Nähe, seien im Zweiten Weltkrieg ständig Bomben gezündet worden. „Einen so lauten Knall aber hatte hier noch keiner gehört.“ Um fünf Uhr 29 Minuten und 45 Sekunden detoniert in der Wüste von New Mexico die erste Atombombe der Weltgeschichte. Trinity, zu deutsch Dreifaltigkeit, ist der Name, den Robert Oppenheimer, der Leiter des Forscherteams, dem Testgelände gegeben hat. Tularosa liegt rund achtzig Kilometer von Trinity entfernt.

Eine menschenleere Einöde, das war damals die Sprachregelung des Militärs. Bis auf ein paar Klapperschlangen und Kojoten sei niemand zu Schaden gekommen. Menschenleer, sagt Herreras Frau Gloria, das klinge nach Mondlandschaft. Und auf dem Mond lebe man in Tularosa nun wirklich nicht. Allerdings glaube sie, der Regierung sei ziemlich egal gewesen, was mit ihnen passierte. „Die meisten hier sind Hispanics wie wir. Ich schätze, für Washington waren wir Luft.“

Die zu testende Bombe hieß zur Tarnung nur „The Gadget“, was so viel bedeutet wie der Apparat, das Gerät, das Ding, eine technische Spielerei. Der Test sollte geheim bleiben. In einem Betonbunker des Trinity-Areals saß Oppenheimer mit seinen Männern, ohne mit Sicherheit zu wissen, was passieren würde. Denn trotz penibler Berechnungen schien alles möglich. Würde die Kettenreaktion ausbleiben? Oder würde der „Apparat“ am Ende die gesamte Atmosphäre entzünden?

In Tularosa beobachtete der elfjährige Henry Herrera, wie sich eine Wolke auftürmte, ein gigantischer Pilz, der später in mehrere Teile zerfiel. Irgendwann fielen graue Flocken vom Himmel. Im Radio meldeten sie, bei Alamogordo sei ein Munitionsdepot explodiert, ohne dass Menschen zu Schaden gekommen seien. Dass es aus der Wolke, die über die Gegend zog, radioaktiven Niederschlag regnen könnte, davor hat niemand gewarnt.

„Was die Regierung vermeldete, glaubten die Leute, so war das damals“, sagt Gloria Herrera, die neun Jahre jünger ist als ihr 85-jähriger Mann. Niemand kam auf die Idee, kein Regenwasser mehr zu trinken, das von Dächern floss, auf denen radioaktiver „Schnee“ lag. Die Wahrheit erfuhren sie erst, nachdem am 6. August über dem japanischen Hiroshima die erste Atombombe, genannt „Little Boy“, abgeworfen wurde. Aber auch das war kein Grund zur Unruhe. „Was Radioaktivität bedeutet, das wusste hier damals keiner“, erklärt Gloria Herrera.

Henry Herrera war 64, als Ärzte die erste Krebsdiagnose stellten. Schilddrüsenkrebs. Es folgten eine langwierige Behandlung, bald darauf die zweite Krebsdiagnose und schließlich eine dritte. Herreras Kieferknochen ist teilweise abgestorben, auch das, sagt er, eine Spätfolge der Strahlung. Zwar war der Ingenieur, der wie sein Vater auf der Luftwaffenbasis Holloman arbeitete, durchgängig krankenversichert. Doch die Versicherung deckte nicht alles ab. Und so fraßen die Zuzahlungen die Ersparnisse der Herreras auf. „Immerhin konnte Henry geholfen werden“, sagt Gloria.

Bob Keller, ein Immobilienmakler aus der Grenzstadt El Paso, erlebte den 16. Juli 1945 in einem Bergdorf namens Ruidoso, hoch in den San Andres Mountains. Seine Mutter hatte ihn mitgenommen auf die Reise. In der Hütte, in der sie schliefen, zitterte plötzlich der Fußboden, sodass seine Mutter im ersten Moment glaubte, jemand habe sich unter dem Bett versteckt. Als es am selben Tag zurückging nach El Paso, fuhren sie dicht an das Testgelände heran, durch verseuchtes Gebiet. In seiner Jugend dann spielte Keller American Football, so gut, dass ihn die Universität im texanischen Austin in ihr Footballteam aufnehmen wollte. Der Traum zerplatzte, weil der Teenager seine Knöchel auf einmal nicht mehr belasten konnte. Ärzte vermuteten radioaktive Strahlen als Ursache. Später litt Keller an Schilddrüsenkrebs, dann beeinträchtigte ein Tumor sein Hörvermögen. Die Kluft zwischen eigenen Erfahrungen und offiziellen Verlautbarungen lässt ihn sarkastisch werden. Der Regierung glaube er nichts mehr. Nicht einmal, dass in Roswell, New Mexico, keine Ufos mit Außerirdischen an Bord gelandet sein sollen. „Wenn Uncle Sam meint, das mit den Ufos sei Unsinn, dann muss ich automatisch annehmen, dass das Gegenteil stimmt.“

 Bei Henry Herrera wurde dreimal Krebs diagnostiziert.

Bei Henry Herrera wurde dreimal Krebs diagnostiziert.

Foto: Frank Herrmann
 Bob Keller musste seine Football-Karriere aufgeben.

Bob Keller musste seine Football-Karriere aufgeben.

Foto: Frank Herrmann

Nach der Test-Premiere wurde die Wüste Nevadas zum Hauptschauplatz der Atombombenversuche. Mitte der Fünfziger drehte Hollywood in der Nähe, im Süden Utahs, den „Eroberer“. Der Hauptdarsteller, John Wayne, erlag 1979 einem Krebsleiden. Im Jahr darauf berichteten Zeitungen, von den 220 Filmleuten, die nach Utah geschickt wurden, seien 91 an Krebs erkrankt und 46 daran gestorben. „Es war ein Wendepunkt“, sagt Aktivistin Tina Cordova, die seit Jahren bei der Politik in Washington für Entschädigungen kämpft. Erst mit dem Tod John Waynes habe das Land angefangen, ernsthaft über die Folgen der Tests zu reden. 1990 verabschiedete der US-Kongress ein Gesetz, das Strahlungsopfern in Nevada, Utah und Arizona eine Entschädigung garantierte. New Mexico indes urde ausgeklammert: Nach der offiziellen Darstellung soll die radioaktive Wolke am 16. Juli 1945 nach Nordosten abgedriftet sein, auf eine Ecke des Bundesstaats zu, die nur sehr dünn besiedelt ist. Carrizozo, Tularosa und Alamogordo, die Ortschaften südöstlich des Trinity-Areals, könnten folglich gar nicht betroffen sein. Augenzeugen wie Henry Herrera haben es anders erlebt.

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