Ungarn Die EU kann Orbán nicht stoppen

Brüssel/Budapest · Ungarns Parlament sichert dem autoritären Regierungschef in der Corona-Krise beispiellose Vollmachten. Aus Brüssel kommt Kritik – auch interne.

 Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán hat sein Notstandsgesetz durchs Parlament bekommen.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán hat sein Notstandsgesetz durchs Parlament bekommen.

Foto: dpa/Tamas Kovacs

Ungarns Journalisten sehen den „letzten Rest der Pressefreiheit“ beseitigt. Vertreter der Opposition wie die sozialdemokratische Europaabgeordnete Klára Dobrev sprechen von einem Ermächtigungsgesetz: „Danach kann Ministerpräsident Viktor Orbán alles machen und durchsetzen“, sagte sie am Montag bei einer virtuellen Pressekonferenz in Budapest. Kurz danach war es soweit. Das ungarische Parlament billigte das Notstandsgesetz, das es dem rechts-nationalen Regierungschef ermöglicht, ohne Befristung auf dem Verordnungsweg zu regieren. Eine Opposition musste Orbán nicht fürchten: In der Abgeordnetenkammer verfügt seine Fidesz-Partei über eine komfortable Zwei-Drittel-Mehrheit.

Das neue Gesetz erlaubt es der Regierung, „alle zur Eindämmung beziehungsweise Abwehr der Folgen der Covid-19-Pandemie nötigen außerordentlichen Maßnahmen zu treffen“, heißt es in der Einleitung des Entwurfes. Dabei kann sie dann „die Anwendung einzelner Gesetze suspendieren, von gesetzlichen Bestimmungen abweichen und sonstige außerordentliche Maßnahmen“ treffen. Die Dauer ist nicht begrenzt. Wer künftig gegen Quarantäne-Auflagen verstößt, muss mit deutlich höheren Haftstrafen rechnen. Und wer „Falschnachrichten“ verbreitet oder die Bevölkerung durch schlechte Nachrichten beunruhigt, dem drohen bis zu fünf Jahre Haft. Betroffen sind keineswegs nur Journalisten der ohnehin kaum noch vorhandenen regierungskritischen Medien, sondern auch Autoren in den sozialen Netzwerken. Ungarische Korrespondenten in Brüssel sagen, dass eine kritische Reportage über Versorgungsmängel in den dortigen Krankenhäusern nicht mehr möglich sei, weil sie „sicherlich irgendjemanden verunsichern“ würde. Ihre Bilanz: „Orbán regiert durch.“ Das Gesetz sei ein weiterer Schritt hin zur „Demontage der Demokratie“. Ihre Angst hat einen Grund: Ungarns Premier pflegt derartige Ausnahmebestimmungen zwar in Kraft zu setzen, aber nicht mehr zurückzunehmen. So wie die erweiterten Polizeibefugnisse für anlassunabhängige Kontrollen, die 2015 in der Flüchtlingskrise erlassen wurden und noch immer gelten.

Das sieht man zwar in Brüssel auch so. Doch die eigentliche Gefahr, sagte Katarina Barley (SPD), Vizepräsidentin des EU-Parlamentes, sei, dass „Ungarn zur Blaupause für andere Regierungschefs wird, die das Land als Modell für den Demokratie-Abbau nehmen, zuschauen und dann nachziehen“. Beobachter verweisen dabei auf Tschechien, wo Ministerpräsident Andrej Babis bereits den Zugang zu Pressekonferenzen limitiert und kritische Medienvertreter rausgeworfen hat.

Die EU-Kommission schweigt bisher zu den Vorgängen, vielleicht auch, weil sie weiß, dass das sogenannte Artikel-7-Verfahren wirkungslos geblieben ist. Es konnte den Abbau der Rechtstaatlichkeit weder in Ungarn noch in Polen stoppen. Schärfere Gegenmaßnahmen, wie den Entzug der EU-Fördergelder, mit denen die Regierungen erhebliche Teile ihres Haushaltes bestreiten, liegen auf Eis. Beim jüngsten EU-Gipfel scheiterte ein Vorschlag von EU-Ratspräsident Charles Michel. Er hätte die Regelung, bei der nur ein EU-Mitglied ein Veto für den befreundeten Sünderstaat einlegen muss, um alles zu stoppen, nicht verbessert. Barley: „Die Kommission verhält sich viel zu passiv.“ Und so konnte auch Orbán am Montag niemand stoppen.

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