Der US-Präsident im Psychogramm Der Mann, der Donald Trump ist

Der US-Präsident kämpft um eine zweite Amtszeit – und das größte Handicap dabei ist er selbst. Eine kritische Analyse.

Eine Woche bis zur US-Wahl: Der Mann, der Donald Trump ist
Foto: dpa/Alex Brandon

Washington Der „Marine One“-Helikopter hatte am 3. Oktober gerade den mit dem Coronavirus infizierten und unter Atemnot leidenden US-Präsidenten vom Weißen Haus ins Walter-Reed-Militärhospital geflogen, als Donald Trump in der für ihn hergerichteten Kliniksuite diese Worte zu einem Helfer sprach: „Ich könnte einer jener sein, die daran sterben“. Es war ein Satz, der – während die Leibärzte dem ahnungslosen Volk noch versicherten, die Symptome des Präsidenten seien kein Grund zur Sorge – wie kaum eine andere in der Amtszeit Trumps gefallene Aussage die Tür weit für einen Blick in die Seele des prominenten Patienten öffnete. Hier thematisierte Trump, für den sonst öffentliche Selbstreflektionen ein Fremdwort sind und der in anderen Bemerkungen mit Blick aufs Militär gelegentlich angedeutet haben soll, der Tod sei etwas für „Verlierer“, erstmals seine eigene Mortalität. Wie viel Sentimentalität oder Selbstmitleid in diesen Worten mitschwangen, wird die Welt wohl nie wissen.

Vielleicht waren sie einfach im Trumpschen Schwarzweiß-Denken der Erfolgreichen und Erfolglosen auch nur aus der Furcht geboren, am Ende zu den „Verlierern“ zu gehören. Da Trump noch nie wirkliches Mitgefühl mit jenen bisher 223 000 Opfern der „China-Pest“ (Trump) gezeigt hat und das Virus – dessen Verbreitung er quer durchs Land durch Missmanagement ebenso begünstigte wie den folgenden Wirtschaftskollaps – stets verharmlost hatte, dürfte man nach einer realen emotionalen Bindung zu dieser Mega-Krise beim Präsidenten vergeblich suchen. Zumal er – so schreibt seine Nichte Mary in ihrem Enthüllungsbuch – Krankheit stets als Schwäche sah. Und zumal er ja auch am dritten Hospital-Tag, dank einer VIP-Behandlung und von Steroiden euphorisiert, aus dem vermeintlichen Sterbebett aufstand und sich im gepanzerten Cadillac im Kim-Jong-Un-Stil um die Klinik fahren ließ, damit ihm seine Fans zujubeln konnten. Die Ansteckungsgefahr dürfte Trump kalt gelassen haben. Denn ein Fazit lässt sich nach den vier Jahren des Republikaners ziehen: Er hat weder moralische, ethische noch tiefergehende seriöse politische Prinzipien, die er durch sein Handeln konsequent untermauert. Er scheint an nichts zu glauben außer sein eigenes Wohlergehen, sein Überleben im Amt und die Bereicherung seiner selbst und seines teilweise im Weißen Haus installierten Clans.

Eine zugegeben harsch klingende Abrechnung mit einem Präsidenten, den immer noch gut 40 Prozent der US-Bürger anhimmeln und den vielleicht sogar, was angesichts der Umfragen einer Sensation gleichkäme, bis zum Tag der Wahl am 3. November so viele wählen werden, dass es doch noch zu einer zweiten Amtszeit reicht. Können sich so viele Menschen irren? Die Antwort findet, wer mit seinen Anhängern spricht. Die meisten Erklärungen klingen wie Entschuldigungen: Ich habe immer schon republikanisch gewählt, unabhängig vom Kandidaten. Er sagt doch nur, was er denkt. Er ist doch kein Politiker. Er ist eben, wie er ist. Er ist nicht einfach, aber er liebt dieses Land. Solche Rationalisierungen drängen die Erkenntnis auf: Trump, der einst behauptete, folgenlos jemanden auf der Fifth Avenue in Manhattan erschießen zu können, fände vermutlich bei vielen noch Verständnis, wenn er es tatsächlich täte. Dieser harte Kern der Fans, die stolz ihre roten „Make Amerika Great Again“-Kappen tragen und jede noch so absurde Verschwörungstheorie glauben, bestärkt Trump in seinem oft irrational wirkenden Verhalten.

All das, was man in der Ära Trump auf der Negativseite notieren könnte, wird von den Hardcore-Anhängern ignoriert oder als Erfindung der „Fake News Media“ abgetan. Vor seiner Präsidentschaft war Trump von 18 Frauen der sexuellen Belästigung und handgreiflicher Übergriffe beschuldigt worden. Dass die überwiegend christliche Partei der Republikaner ihn dennoch 2016 und danach so überwältigend unterstützte, ist eines der großen Phänomene seiner Ära. Trump führte vor vier Jahren erfolgreich den Wahlkampf unter dem Motto: „Den Sumpf trocken legen“. Er bot sich als Gegenposition zur Elite in Washington an, die er als unehrlich und nur der eigenen Sache verpflichtet charakterisierte. Und doch hat er sich bis heute als einer jener Sumpf-Bewohner präsentiert. Mit ihrem Pinocchio-Barometer überführte ihn die Washington Post mindestens 20 000 Mal, die Unwahrheit gesagt zu haben. Das Lügen ist mittlerweile ein so fester Bestandteil seines Charakters, dass er – das „stabile Genie“ (Trump über Trump) – selbst dann die Fakten verdreht, wenn der Beobachter dafür eigentlich gar einen Grund sieht.

Alles wird von ihm bestritten, was nicht passt. Auch der Faktor, dass die Trump-Familie direkt von seiner Präsidentschaft profitiert. Unabhängige Analysten haben berechnet, dass die Trumps und die in einem Trust gehaltenen Hotels, Resorts und Golfklubs seit Amtsantritt rund 23 Millionen Dollar von Geldgebern eingenommen haben, die entweder dem Präsidenten mit Sympathie verbunden sind oder die sich Vorteile versprechen. Und Trump hat sich standhaft geweigert, dem Volk zu versichern, dass seine Geschäfte keine Zahlungen aus den Pandemie-Hilfsfonds erhalten. Es gibt noch mehr fragwürdige Vorgänge im Weißen Haus des Donald Trump. Der Präsident begnadigte seinen engen Freund und verurteilten Straftäter Roger Stone, der den Kongress belogen und Zeugen manipuliert hatte – und dies, so gab Stone zu, um Trump zu schützen. Der Präsident entließ General-Inspektoren, die sich mit für ihn heiklen Themen befassten. Und er legte sich mit den eigenen Geheimdiensten an, die zu dem Schluss gekommen waren, dass die US-Demokratie von ausländischen Mächten ins Visier genommen worden war.

Dass Trump dem chinesischen Präsidenten Xi dazu gratulierte, sich quasi eine lebenslange Regentschaft beschert zu haben, passt zudem zu seiner unverhohlenen Vorliebe für Diktatoren und rücksichtslose Machthaber. Wladimir Putin? Er sei „in seinem System ein Führer, viel mehr als unser Präsident ein Führer gewesen ist“. Damit meinte Trump Vorgänger Barack Obama, für den er weniger Sympathien zu haben scheint als für Nordkoreas Kim Jong Un, mit dem er einen regen Briefwechsel führte, der dann aber doch nicht zur Denuklearisierung des Regimes führte. Obama hingegen durfte sich anhören, „der Gründer von Isis“ zu sein. Harsche Worte hatte Trump in seinen vier Jahren auch für die Vereinten Nationen, die Nato, de G 7 und die Weltgesundheitsorganisation, der er eine Mitschuld an der schnellen Ausbreitung des Coronavirus dank ihres Schmusekurses mit Peking attestierte. Zu Rassismus und Nationalismus in den USA gab es solche klaren Aussagen nicht. 

Beim Amtsenthebungsverfahren wegen seiner Ukraine-Aktionen sprach ihn der Senat dank der Mehrheit der Republikaner frei. Doch Oppositionsführerin Nancy Pelosi hatte Recht, als sie resümierte: Die versuchte Amtsenthebung Trumps sei „für immer“, also aus den Geschichtsbüchern nie wieder auszuradieren. Für das angesichts der Umfragen absehbare Ende der politischen Karriere Trumps am 3. November wird das „Impeachment“ zwar keine Rolle spielen. Doch neun Monate nach dem Beginn der Pandemie in den USA stellt das Virus, an dem Donald Trump plötzlich zu sterben fürchtete, den eigentlichen Todesstoß für die Fortsetzung seiner Ära dar. Wenn nicht doch noch ein Last-Minute-Wunder geschieht – für den Mann am Rande des Abgrunds.

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