Ein Jahr Gelbwestenproteste in Frankreich Die große Wut der Abgehängten

Paris · Vor einem Jahr begannen in Frankreich die Proteste der Gelbwesten. Die Bewegung hat nicht nur den Präsidenten in eine Dauerkrise gestürzt, sondern auch das Land verändert.

 Gelbwestenproteste am 8. Dezember vergangenen Jahres vor dem Triumphbogen in Paris. Eine Woche zuvor hatten Mitglieder der Bewegung das Wahrzeichen der französischen Republik schwer geschändet.

Gelbwestenproteste am 8. Dezember vergangenen Jahres vor dem Triumphbogen in Paris. Eine Woche zuvor hatten Mitglieder der Bewegung das Wahrzeichen der französischen Republik schwer geschändet.

Foto: dpa/Elyxandro Cegarra

Der Arc de Triomphe ist für Frankreich das zentrale Symbol der Republik. Auf der Suche nach dem inneren Zusammenhalt, sammelt sich dort die Nation. Am Ende beider Weltkriege feierten die französischen Truppen in Paris am Arc de Triomphe ihre Siege. Nach den schweren Terroranschlägen der vergangenen Jahre sprachen die Präsidenten dort ihrem Volk Trost und Mut zu, das monumentale Bauwerk steht für den unbedingten Durchhaltewillen einer Gesellschaft.

Doch am 1. Dezember 2018 geschah das Unfassbare. Bei den Protesten der Gelbwesten stürmten Randalierer den Triumphbogen – Franzosen schändeten das Herz der eigenen Republik. Über die Bildschirme flatterten Bilder von bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Ein Schock! Die hochgerüstete Polizei machte einen mehr als hilflosen Eindruck, aber niemand hatte mit einem sollen Ausbruch von Hass an diesem fast sakralen Ort gerechnet. Erst am Tag danach waren die Schäden zu ermessen. Das berühmte Relief der Marianne, der französischen Freiheitsheldin, war von den wütenden Eindringlingen zerschlagen, das ganze Monument stand in einem Meer von herausgerissenen Pflastersteinen und war mit Graffitis verschandelt. Deutlicher hätten die Gelbwesten ihre Verachtung gegenüber der Republik nicht zum Ausdruck bringen können.

Entzündet hatte sich der Protest an einer Steuererhöhung für Benzin und Diesel. So wollte die Regierung gegen den Klimawandel kämpfen. Doch die Politik hatte die Stimmung im Land völlig falsch eingeschätzt. In den ländlichen Regionen, die in Paris gerne etwas abwertend als „Peripherie“ bezeichnet werden, werden Schulen und Krankenhäuser geschlossen, Busse verkehren oft nur noch sporadisch. Hier sind die Menschen auf ihr Auto angewiesen, doch viele verdienen so wenig, dass eine Preiserhöhung für den Sprit einen tiefen Einschnitt bedeutet.

Die Menschen begannen, im Internet ihrem Zorn freien Lauf zu lassen, es entstanden Gruppen, die sich verabredeten und erste Blockaden organisierten. Zum Symbol wurden die gelben Warnwesten, die jeder im Auto mit sich führt und Versammlungspunkte waren die Kreisverkehre. Schnell wurde deutlich, dass sich die Unzufriedenheit nicht nur aus der Wut über eine einfache Preiserhöhung nährt. Die Mittelschicht auf dem Land hadert seit Jahrzehnten mit ihrer sozialen Situation. Schon in den 1990er Jahren war der spätere Präsident Jacques Chirac in den Wahlkampf gezogen, um für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Passiert ist in all den Jahren aber  nichts.

Fakt ist: Viele sehen sich als Abgehängte einer in Paris vorangetriebenen Politik der Globalisierung. Und so demonstrierten in den ersten Monaten an jedem Wochenende bis zu 300 000 Menschen gegen die Reformpolitik des Präsidenten Emmanuel Macron, dessen Kurs als Politik der Reichen wahrgenommen wird.

Zu Beginn der Proteste hatten immer wieder politische Parteien und Gewerkschaften versucht, sich der Bewegung anzuschließen und sie für ihre Zwecke zu nutzen. Doch diese Einflussnahmen wurden von den Gelbwesten brüsk zurückgewiesen. Sie machten deutlich, dass sie das aktuelle System der Meinungsbildung und Machtverteilung in seinen Grundsätzen ablehnen. Aus diesem Grund waren auch die Anläufe einiger führender Gelbwesten zum Scheitern verurteilt, die Bewegung etwa bei den Europawahlen antreten zu lassen.

Reagierte Emmanuel Macron anfangs mit großer Härte, vor allem auf die Ausschreitungen während der Proteste, musste der Präsident schließlich erkennen, dass der Schwung der Bewegung nicht so schnell erlahmen würde. Also ging er in die Offensive und startete die „Grand Debat“, einen landesweiten Bürgerdialog. In wenigen Wochen wurden mehrere Tausend Versammlungen abgehalten, und eine Internet-Seite wurde lanciert, auf der sich am Ende eine Flut von Veränderungsvorschlägen fanden. Gleichzeitig machte Macron Milliardensummen locker, mit denen er die unteren Einkommensschichten und auch die Rentner entlastete. Von der Erhöhung der Spritsteuer hatte er sich damals schon längst verabschiedet.

Mit all diesen Maßnahmen gelang es dem Präsidenten, den politischen Druck zu reduzieren. Der Elan der Gelbwesten ließ merklich nach. Zuletzt hatten sich die Organisatoren darauf geeinigt, keine Großdemonstrationen in Paris mehr auf die Beine zu stellen, zu kläglich wirkten inzwischen die Auftritte mit einigen hundert Teilnehmern. Mit kleineren, lokalen Aktionen soll nun auf die sozialen Probleme aufmerksam gemacht werden. „Wir werden weiter für unsere Sache kämpfen“, erklärte der Teilnehmer eines Protestmarsches, der am vergangenen Wochenende in Paris vom Fuße des Montmartre in Richtung Oper zog. „Wir wissen, dass die meisten Franzosen hinter uns stehen.“

Die Anführer der Gelbwesten merken allerdings, dass sie sich auch politisch bewegen müssen. Priscillia Ludosky und Jérôme Rodrigues, zwei der herausragenden Anführer der Bewegung, wollen sich in diesen Tagen mit Macron zu einem Gespräch treffen – was sie ein Jahr lang kategorisch abgelehnt haben. Auch ihnen scheint klar geworden zu sein, dass es der Bewegung nicht gelungen ist, die anarchischen Ansätze der Gelbwesten in konstruktive Bahnen zu lenken. Sie haben mit ihrem Protest zwar die Politik des Landes verändert, die Linien aber bestimmen nicht sie, sondern noch immer der ihnen verhasste Präsident.

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