Katalonien Die verschobene Unabhängigkeit

Barcelona · Der Chef der Regionalregierung hat gestern vor dem katalanischen Parlament zum weiteren Dialog mit Spanien aufgerufen. Am Ziel eines unabhängigen Staates hält Carles Puigdemont aber dennoch fest.

 Demonstranten protestieren in der katalanischen Hauptstadt Barcelona gegen die Pläne der Regionalregierung Kataloniens zu einer Abspaltung von Spanien. Dabei schwenken sie die rot-gelb-rote Nationalflagge als Symbol der Einheit.

Demonstranten protestieren in der katalanischen Hauptstadt Barcelona gegen die Pläne der Regionalregierung Kataloniens zu einer Abspaltung von Spanien. Dabei schwenken sie die rot-gelb-rote Nationalflagge als Symbol der Einheit.

Foto: dpa/Nicolas Carvalho Ochoa

(dpa) Was sich am Dienstagabend im Parlament von Barcelona abspielte, glich einem Krimi. Die Nerven der Katalanen, aber auch der Spanier, waren zum Zerreißen gespannt, Demonstranten warteten auf den Straßen mit Unabhängigkeitsflaggen in der Hand, Dutzende Journalisten hatten sich in Stellung gebracht. Nur der Hauptdarsteller ließ auf sich warten: Carles Puigdemont, der Chef der ungehorsamen Regionalregierung, der zusammen mit seinen Verbündeten seit Wochen das ganze Land in Aufruhr versetzt.

18.00 Uhr, eigentlich soll der 54-Jährige seine mit Spannung erwartete Rede beginnen, aber nichts geschieht. Dann lässt er verlauten, die Sitzung sei um eine Stunde verschoben. Spekulationen überschlagen sich: Gibt es Streit mit der ungeliebten Partei CUP, die beharrlich auf ihren Trennungsgelüsten pocht und auf deren Unterstützung die Regierungsallianz im Parlament angewiesen ist? Wird er die Unabhängigkeit ausrufen oder sich für eine andere Variante entscheiden?

Nach 45 Minuten herrscht Klarheit – oder auch nicht. Puigdemont hat in einer eindringlichen Rede die derzeitige politische Situation samt ihrer Eskalation beleuchtet und erklärt dann, das Ergebnis des Abspaltungsreferendums vom 1. Oktober berechtige ihn, die Unabhängigkeit auszurufen. Zehntausende Demonstranten in Barcelona, die die Rede auf Großleinwand verfolgen, brechen in Jubel aus. Aber sie haben sich zu früh gefreut. Denn Puigdemont macht gleich einen Rückzieher und betont, zwar wolle er am Ziel der Trennung festhalten, aber zunächst einige Wochen lang einen Dialog mit Madrid versuchen, am besten unter Vermittlung. Nun gibt es Pfiffe auf der Plaza.

Beobachter meinen hingegen, dies sei ein geschickter Schachzug der „Generalitat“. Denn Puigdemont steht als gesprächsbereiter Gutmensch da, der noch einmal versucht, seiner Regierung und seinem Abspaltungsvorhaben Seriosität zu verleihen: „Wir sind keine Verbrecher, keine Verrückten, keine Putschisten“, ruft er den Spaniern zu und fügt ernst hinzu: „Ich appelliere an die Verantwortung aller. Die spanische Regierung fordere ich dazu auf, eine Vermittlung zu akzeptieren.“

Ministerpräsident Mariano Rajoy lässt aber bereits durchblicken, seine Regierung betrachte die Aussagen dennoch als Unabhängigkeitserklärung und überlege sich die passende Reaktion darauf, wie die Zeitung „El País“ am Abend berichtet. Über Katalonien schwebt schon seit Tagen wie eine dunkle Wolke der Artikel 155 der Verfassung, der besagt, dass Madrid eine Regionalregierung entmachten kann, wenn diese die Verfassung und das Interesse Spaniens missachtet.

„Ich bin nicht gerade glücklich über das, was Puigdemont gesagt hat, aber wahrscheinlich war es das klügste“, sagt Sergi Rouira direkt nach der Rede. Zusammen mit zahlreichen Gleichgesinnten hat er die Ansprache auf dem Platz vor dem Triumphbogen unweit des Parlaments verfolgt. „Jetzt gibt es eine letzte Chance für Gespräche“, hofft der Sozialarbeiter. „Aber am Ende kann nur die volle Unabhängigkeit stehen“, fügt er hinzu.

Manche der Teilnehmer hatten stundenlang auf die Rede gewartet. Fliegende Händler mit Getränken machten ein gutes Geschäft, Poster mit Unabhängigkeitsforderungen und Rosen gab es umsonst. Rot-gelbe Fahnen werden geschwenkt, die „Estelada“, die um einen Stern nach dem Vorbild der kubanischen Fahne erweiterte Flagge der katalanischen Separatisten. Wie es weitergeht in Katalonien steht weiter in den Sternen. 

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