Flüchtlingsdrama im Urlaubsidyll Gran Canaria ist Europas neuer Flüchtlings-Brennpunkt

Gran Canaria · Statt Urlaubern nächtigen derzeit Migranten in den Hotels auf Gran Canaria. Auf der beliebten Ferieninsel hat sich ein neuer Flüchtlings-Hotspot entwickelt.

Die Ferieninsel Gran Canaria ist Europas neuer Flüchtlings-Brennpunkt
Foto: dpa/Javier Fergo

Das Vier-Sterne-Hotel in der spanischen Urlaubsoase Playa del Inglés im Süden Gran Canarias ist voll. Bei angenehmen Temperaturen um die 23 Grad sitzen viele Zimmerbewohner auf den Balkonen und genießen die Sonne. Doch das Hotel Waikiki, das rund einen Kilometer vom feinen Sandstrand entfernt liegt, beherbergt keine ausländischen Touristen, die dem kalten Winter in der Heimat entfliehen. Die Zimmer sind mit Flüchtlingen und Migranten belegt, die auf den Kanarischen Inseln nicht die Sonne, sondern die Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa suchen.

Allein im November kamen mehr als 8000 in wackeligen Booten übers Meer. So viele Bootsmigranten wurden noch nie in einem Monat auf den Kanaren registriert. Gran Canaria ist in den letzten Monaten zum neuen Migrationsbrennpunkt Europas geworden. Dies wurde vor allem im Hafen von Arguineguín im Inselsüden sichtbar, auf dem chaotische Zustände herrschten. Die Helfer kamen mit der Versorgung der Ankommenden nicht mehr nach. Zeitweise drängelten sich mehr als 2500 Bootsmigranten auf der Kaimauer. Schliefen dort sogar auf dem Boden. Inselpolitiker sprachen von einem „Lager der Schande“ und warfen der spanischen Regierung Untätigkeit vor. Die Bilder von Menschen, die hinter gelben Zäunen zusammengepfercht ausharrten, gingen um die Welt. Und sie waren nicht die beste Werbung für die Urlaubsinseln.

Dies wurde schließlich auch Spaniens sozialistischem Premier Pedro Sánchez klar: Er ordnete die Räumung des Elendscamps an. Ein Teil der Migranten wurde mangels Alternativen aus dem Hafen in Hotels gebracht, die von der Regierung angemietet wurden.

Andere Armutsflüchtlinge zogen in ein Zeltlager ein, das auf einem Militärareal in der Nähe der Gran-Canaria-Hauptstadt Las Palmas installiert wurde. In den kommenden Wochen sollen weitere ungenutzte Kasernen zu Aufnahmelagern werden. Auf Gran Canaria und den Nachbarinseln wollen die Behörden in Zeltstädten und Militärbaracken 7000 Menschen unterbringen. Doch ob das reichen wird, ist fraglich: Denn seit Januar wurden auf den Kanaren bereits über 20 000 „Boatpeople“ registriert. Und nach spanischen Geheimdienstberichten warten an der westafrikanischen Küste Zehntausende auf ihre Chance.

Auf Gran Canaria sorgt die Migrationskrise jetzt schon für große soziale Spannungen. Steine flogen gegen Aufnahmeeinrichtungen. Hassvideos machen die Runde. Barrikaden wurden errichtet, um die Unterbringung von Immigranten zu verhindern. Der soziale Sprengstoff besorgt auch den Chef der kanarischen Regionalregierung, Ángel Víctor Torres. Er rief die Bevölkerung zu Toleranz auf. Allerdings teilt Torres den Ärger der Menschen über die Blockadepolitik der spanischen Regierung. Und er warnt: „Wir dürfen nicht zum Gefängnis Europas werden.“ Madrid hatte angekündigt, dass es keine Überführung von irregulären Einwanderern aufs spanische Festland geben werde. Vor allem, um Abschiebungen, die nach dem Ende der Pandemie anlaufen sollen, zu erleichtern.

Herrschen auf den Kanaren also bald Zustände wie auf der griechischen Insel Lesbos? Auf Lesbos hängen ebenfalls Tausende Flüchtlinge in einem Aufnahmelager fest, weil Athen sich weigert, die Menschen aufs griechische Festland zu bringen. Eine Strategie, die nicht ohne Risiko ist und nun offenbar auch von Madrid kopiert wird. Doch wohin das führen kann, sah man auf Lesbos. Dort ging im September das große Migrantenlager am Rande des Inselortes Moria in Flammen auf.

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