„China Cables“ Einblicke in Chinas geheime Uiguren-Lager

Peking · Peking bestreitet jegliche Verfolgung und „Umerziehung“ der muslimischen Minderheit. Vertrauliche Papiere zeigen nun das Gegenteil.

 Hunderttausende Uiguren interniert China in Lagern wie hier in Artux in der Region Xinjiang – angeblich zur Weiterbildung. Aber es geht um Unterdrückung.

Hunderttausende Uiguren interniert China in Lagern wie hier in Artux in der Region Xinjiang – angeblich zur Weiterbildung. Aber es geht um Unterdrückung.

Foto: AP / File/AP Photo

Gehirnwäsche statt Berufsbildung: Geheime Dokumente der Kommunistischen Partei enthüllen die systematische Verfolgung der Uiguren und Anleitungen zur massenhaften Internierung der muslimischen Minderheit in Nordwestchina. Die „China Cables“, die das Konsortium Investigativer Journalisten veröffentliche, geben einen seltenen Einblick in die Unterdrückungsmaschinerie. Sie zeigen, dass die in Peking als „Weiterbildungseinrichtungen“ bezeichneten Lager in Wirklichkeit streng bewachte Einrichtungen zur Umerziehung sind. Auch widerlegen sie wiederholte Aussagen der chinesischen Regierung, wonach der Aufenthalt darin freiwillig sei.

Nach Schätzungen von Menschenrechtlern sind Hunderttausende bis eine Million Uiguren in solche Umerziehungslager gesteckt worden – in der Regel für mindestens ein Jahr, wie aus den geheimen Dokumenten hervorgeht. Die Unterlagen zeigen zudem, wie Uiguren gezielt überwacht werden und eine Datenbank alle möglichen Informationen sammelt, um Verdächtige zu ermitteln. Im Ausland nutzt China seine Botschaften und Konsulate, um Uiguren zu bespitzeln. Wenn Verdächtigte wieder nach China einreisten, würden sie interniert.

Die Bundesregierung reagierte „mit größter Sorge“ auf die neuen Enthüllungen. Man sei seit geraumer Zeit mit der chinesischen Führung in „sehr ernstem Gespräch“, sagte eine Außenamtssprecherin. Sie forderte eine Verbesserung der Menschenrechtslage sowie den Zugang internationaler Experten in Xinjiang. Sanktionen gegen China sind allerdings nicht geplant – ebensowenig wie eine Einflussannahme auf deutsche Unternehmen, die in der Region investieren wollten.

Die Dokumente aus den Jahren 2017 und 2018 wurden dem Konsortium von Exil-Uiguren zugespielt. Weltweit haben mehr als 75 Journalisten von 17 Medien die Papiere ausgewertet, darunter NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung. Die „China Cables“ zeichnen mit Regierungsunterlagen, die die New York Times vor gut einer Woche veröffentlichte, das Bild eines Überwachungsstaates in Xinjiang.

Schätzungsweise zehn Millionen Uiguren leben in China, die meisten in Xinjiang. Sie sind ethnisch mit den Türken verwandt und fühlen sich von den herrschenden Han-Chinesen wirtschaftlich, politisch und kulturell unterdrückt. Nach ihrer Machtübernahme 1949 hatten die Kommunisten das frühere Ostturkestan China einverleibt. Die Regierung in Peking wirft uigurischen Gruppen Separatismus und Terrorismus vor.

Das Vorgehen gegen die Volksgruppe hat sich unter Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping noch verschärft. Nach einem Terroranschlag 2014 mit 31 Toten in einem Bahnhof forderte der Präsident nach Angaben der New York Times in einer bislang unveröffentlichten Rede, „im Kampf gegen Terrorismus, Infiltration und Separatismus“ die „Organe der Diktatur“ zu nutzen und „absolut keine Gnade zu zeigen“.

Zu den „China Cables“ gehören eine Anleitung zum Betrieb von Lagern, vier Bekanntmachungen zu der Überwachungsdatenbank sowie das Urteil gegen einen Uiguren. Während Chinas Botschaft in London von „reiner Erfindung und falschen Nachrichten“ sprach, sagte Außenamtssprecher Geng Shuang in Peking, Xinjiang sei „allein eine innere Angelegenheit“.

Zu den Dokumenten gehört eine „Stellungnahme zur weiteren Verstärkung und Standardisierung von Erziehungs- und Ausbildungszentren für berufliche Fertigkeiten“ der Rechtskommission von Xinjiang von 2018. Darin werden nach Angaben der Süddeutschen mehr als zwei Dutzend Regeln für den Betrieb der Lager aufgelistet. Alle Zimmer und Gänge müssten streng abgesperrt werden. Außerdem wird dargelegt, wie Internierte beim Toilettengang, Schlafen und Unterricht zu überwachen sind. Auch von „Züchtigung“ und „Methoden der zwangsweisen Indoktrination“ ist die Rede. Ein „Punktesystem“ gibt Strafen oder Belohnungen vor.

In eine Überwachungsdatenbank fließen Informationen aus verschiedenen Quellen ein: Verhöre, Überwachungssoftware und Material aus Kameras. Die Plattform ermittele, wer verdächtig ist. Um die Datenbank zu füllen, werden auch Mitarbeiter in Dörfer und zu Familien geschickt, um herauszufinden, wie die Menschen über die Partei denken. Die „China Cables“ belegen auch, dass die Behörden in einer einzigen Woche im Juni 2017 insgesamt 15 638 Uiguren festgenommen und in Lager gesteckt hätten.

 Die_Uiguren_in_China

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Foto: SZ/Steffen, Michael

„Die „China Cables“ räumen endgültig alle Zweifel an der Existenz der Internierungslager in Xinjiang aus“, sagte Gyde Jensen (FDP), Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestages. Sie belegten „systematische Gewalt und Verfolgung“. Sanktionen seien nötig. Die Grünen forderten, das Thema im UN-Sicherheitsrat zu besprechen.

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