Aus für den Stabilitäts- und Wachstumspakt? Brüssel will die Schuldenbremse lockern

Brüssel · Die EU-Kommission schlägt eine Reform der Stabilitätsregeln vor. Damit sollen unter anderem grüne Investitionen leichter werden.

Es ist eine selten positive Bilanz: Die europäische Wirtschaft wächst seit sieben Jahren. Noch 2011 saßen 24 Mitgliedstaaten auf der Sünderbank, weil sie jährlich mehr als drei Prozent neue Schulden anhäuften. Heute liegen selbst die Sorgenkinder Griechenland, Italien und Frankreich im Rahmen. Die Büßerbank ist leer. Nach Auffassung der Europäischen Kommission ist damit der Zeitpunkt gekommen, um über eben jenes Instrument zu reden, das sich die Mitgliedstaaten 1997 gegeben und auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2011 und 2013 verschärft hatten: den Stabilitäts- und Wachstumspakt. „Stabilität bleibt ein zentrales Ziel, aber es ist genauso wichtig, das Wachstum zu stützen und insbesondere die massiven Investitionen zu mobilisieren, die wir für den Klimaschutz brauchen“, sagte EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni am Mittwoch in Brüssel.

Zusammen mit dem Vizepräsidenten der Kommission, Valdis Dombrovskis, der für alle Wirtschaftsfragen zuständig ist, eröffnete er zunächst eine Konsultation, die bis Ende des Jahres in eine Reform münden soll. Das klingt eher finanztechnisch und vor allem harmlos. Tatsächlich aber plant die Brüsseler Behörde nichts weniger als einen Tabubruch: Die strengen Regeln des Paktes sollen gelockert werden, damit die Regierungen sich wieder stärker verschulden können. Denn, so geht aus der gestern präsentierten Vorlage hervor, ohne zusätzliche Finanzmittel seien grüne Investitionen nicht möglich. Die aber werden gebraucht, weil zwar die Neuverschuldung gesunken ist, die Anteile der Schulden an der Jahreswirtschaftsleistung aber nach wie vor deutlich über den vorgeschriebenen 60 Prozent liegt. „Der derzeit festgeschriebene Kürzungsfetisch im Stabilitäts- und Wachstumspakt steht dem Ziel einer klimaneutralen EU bis 2050 entgegen“, signalisierte der sozialdemokratische EU-Abgeordnete Joachim Schuster Verständnis.

Zumindest in einem Punkt sind sich EU-Kommission, die Finanzexperten der Gemeinschaft und die zuständigen Abgeordneten des Europäische Parlamentes einig. „Besonders problematisch ist, dass die heutigen Fiskalregeln pro-zyklisch wirken und Konjunkturzyklen verstärken statt sie abzumildern“, brachte der Grünen-Finanzpolitiker Sven Giegold auf den Punkt, was auch andere denken. Schuldenbremse und Ausgabenstopp wirken nämlich ganz anders als erhofft. Denn eigentlich hatte die EU-Zentrale erwartet, dass mit diesen Instrumenten gute konjunkturelle Zeiten abgeschwächt würden, damit schlechte Zeiten weniger hart werden. Genau das trat nicht ein. Doch die Befürchtung ist groß, dass „wir damit die Büchse der Pandora“ öffnen, wie es der CSU-Politiker Markus Ferber ausdrückte: „Nur weil die Kommission nun den Green Deal ausgerufen hat, hat sich die Schuldentragfähigkeit in Ländern wie Italien und Frankreich keinen Deut verbessert.“ Ferber und andere treibt die Angst um, dass die Reform am Ende dazu führt, die Regeln des Stabilitätspaktes aufzuweichen – was viele Mitgliedstaaten wie Italien seit langem fordern. Richtig sei allerdings, so Ferber weiter, dass „die europäischen Fiskalregeln im Laufe der Zeit viel zu kompliziert geworden“ seien. Derzeit sind 17 Verfahrensschritte nötig, um ein Land für einen Verstoß gegen die Defizitbestimmungen zu bestrafen – was im Übrigen noch nie geschehen ist, völlig unabhängig davon, wie eklatant der Bruch ausgefallen war. Unter den EU-Regierungen ist der Vorstoß aus Brüssel ebenfalls umstritten. Deutschland hat bereits Widerstand angekündigt.

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