Interview zum Brexit „Ich stelle zum Abschied eine Kerze ins Fenster“

London · Die britische Europaabgeordnete verliert mit dem Brexit-Tag am Freitag ihren Job – glaubt aber an eine Rückkehr in die EU.

73 britische Europaabgeordnete verlieren am 31. Januar ihren Job, wenn das Vereinigte Königreich aus der EU austritt – darunter die Deutsche Irina von Wiese, die im Mai für die pro-europäischen Liberaldemokraten Großbritanniens ins Europäische Parlament einzog. Die 52-jährige gebürtige Kölnerin lebt seit 1996 auf der Insel, hat neben der deutschen auch die britische Staatsbürgerschaft. Den Kampf für Europa will die Politikerin trotz Brexit keineswegs aufgeben.

Frau von Wiese, der Brexit-Tag ist Ihr letzter Arbeitstag als Europa-Abgeordnete. Was werden Sie tun?

VON WIESE Ich bin den ganzen Tag für Interviews gebucht und habe deshalb keine Zeit zu trauern. Aber ich denke, ich werde zum Abschied am Abend eine Kerze in mein Fenster stellen, um damit zu zeigen, dass wir weiterhin ein Licht für Europa sein werden.

Sie saßen nur sieben Monate im Parlament. Wie blicken Sie zurück?

VON WIESE Es fühlt sich an wie eine Ewigkeit und ich will keine Sekunde davon missen. Ich bin so froh, dass wir mit der Fristverlängerung im Oktober diese drei Monate Bonuszeit bekommen haben. Wir haben unglaublich viel erreicht, zum Teil auch deshalb, weil die Brexit-Wolke über unseren Köpfen hing. Es war wichtig, dass wir als pro-europäische Europaabgeordnete aus Großbritannien vertreten waren und zahlenmäßig bei weitem jene von der Brexit-Partei übertroffen haben. Wir haben lauter als sie geschrien, was eine wichtige Botschaft für unsere europäischen Freunde war. Diese wissen, dass viele Briten mit einer Stimme für Europa sprechen. Das war von unschätzbarem Wert. Zugleich konnten wir die Gewissheit mit nach Hause nehmen, dass wir fabelhafte Freunde unter den 27 Mitgliedstaaten haben, die ihr Vertrauen in uns setzen und uns stets unterstützt haben. Sie wünschen, dass wir zurückkommen.

Sie klingen äußerst positiv, aber der Kampf der Pro-Europäer ist doch verloren. In der Nacht zu Samstag tritt Großbritannien aus der EU aus. Es ist vorbei.

VON WIESE Es ist überhaupt nicht vorbei. Natürlich müssen wir akzeptieren, dass der Brexit nun passiert, und bei der Abschiedsfeier der Fraktion sind auch Tränen geflossen. Aber wir sind bereit, den Boden zu bereiten für den Wiedereintritt.

Angesichts der Feierlaune der Brexit-Anhänger klingt das fast etwas realitätsfremd.

VON WIESE Ich bin nicht naiv und glaube auch nicht, dass dies in den nächsten fünf Jahren passieren wird. Aber irgendwann wird es soweit sein, dass Großbritannien wieder Mitglied in der EU wird. Wir müssen den Weg dafür ebnen, was viel Arbeit erfordert. In Großbritannien haben wir heute die größte pro-europäische Bewegung Europas. Drei Mal gingen mehr als eine Million Menschen auf die Straße, um für ihren Platz in Europa einzutreten. Und natürlich gibt es Möglichkeiten, außerhalb der EU zu kooperieren. Britische Pro-Europäer werden weiterhin zur Debatte beitragen. Ich möchte in London für die Freundschaft zwischen EU und dem Königreich kämpfen. Es ist also keineswegs vorbei, sondern der Start eines neuen Kapitels, das mit unserem Wiedereintritt enden wird. Davon bin ich überzeugt.

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