Boris Johnson Haushoher Favorit als neuer Premierminister Kommt der Brechstangen-Brexit an Halloween?

London/Brüssel · Boris Johnson wird wohl neuer Premier und verlangt Zugeständnisse von der EU. Doch seine Forderungen scheinen unerfüllbar.

 Beim Besuch eines Polizeitrainingszentrums Anfang Juli demonstrierte Boris Johnson, wie gut er mit einer Brechstange umgehen kann. Als neuer britischer Premier will er das Land am 31. Oktober aus der EU führen – „komme, was wolle“.

Beim Besuch eines Polizeitrainingszentrums Anfang Juli demonstrierte Boris Johnson, wie gut er mit einer Brechstange umgehen kann. Als neuer britischer Premier will er das Land am 31. Oktober aus der EU führen – „komme, was wolle“.

Foto: AP/Dylan Martinez

Boris Johnson nimmt es mit der Wahrheit oft nicht so genau. Als Außenminister trat er in viele Fettnäpfchen auf internationalem Parkett. Aber mit dem Brexit will er ernst machen – notfalls mit der Brechstange. Johnson will Großbritannien an Halloween, am 31. Oktober, aus der Europäischen Union führen, „komme, was wolle“. Dabei droht er Brüssel auch mit einem Austritt ohne Abkommen – das hätte erhebliche negative Folgen für die Wirtschaft und andere Lebensbereiche.

Im Rennen um die Nachfolge von Premierministerin Theresa May nimmt Johnson jetzt Kurs auf Downing Street. Der 55-Jährige gilt als haushoher Favorit, Chef seiner Konservativen Partei und damit auch der Regierung zu werden.Nach einer jüngsten Umfrage unter Tory-Mitgliedern könnte der umstrittene Politiker mehr als 70 Prozent der Stimmen bekommen. Seinem Konkurrenten, Außenminister Jeremy Hunt, werden nur geringe Chancen eingeräumt. Das Wahlergebnis wird am Dienstag in London bekanntgegeben, am Mittwoch könnte Johnson bereits zum neuen Premierminister ernannt werden.

Johnson betonte am Montag, dass ein geregelter EU-Austritt Ende Oktober mit „Willen und Tatkraft“ machbar sei. Wenn es vor 50 Jahren schon möglich gewesen sei, zum Mond und zurück zu fliegen, „dann können wir auch das Problem des reibungslosen Handels an der nordirischen Grenze lösen“, schrieb Johnson im Telegraph. Wie für den Flug zum Mond gebe es auch dafür technische Lösungen.

Johnson spielte damit auf den sogenannten Backstop an, den er strikt ablehnt. Diese Garantieklausel soll verhindern, dass zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland wieder Grenzkontrollen eingeführt werden müssen. Denn das könnte den alten Konflikt zwischen katholischen Befürwortern einer Vereinigung Irlands und protestantischen Loyalisten wieder schüren.

Der Backstop sieht vor, dass Großbritannien so lange Teil einer Zollunion mit der EU bleibt, bis das Problem anderweitig gelöst ist. Für Nordirland sollen zudem teilweise Regeln des Europäischen Binnenmarkts gelten.

Johnson sieht in der Klausel ein „Instrument der Einkerkerung“ Großbritanniens in Zollunion und Binnenmarkt. Er will den Backstop streichen und die irische Grenzfrage erst nach dem Austritt in einem künftigen Freihandelsabkommen mit der EU lösen.

Die Rhetorik wird auch in Brüssel härter. Die Rede ist von einer „Fantasiewelt“ der Kandidaten. „In der echten Welt bedeuten sie (die Ideen der Kandidaten) einen No Deal mit verheerenden Konsequenzen“, sagte ein EU-Diplomat. „Wenn Großbritannien das will, wird es das bekommen. Wenn nicht, muss es der Realität ins Auge blicken und sich entsprechend verhalten.“

Worauf gründet Johnson dann seinen Optimismus? Der frühere Londoner Bürgermeister und Ex-Außenminister setzt wohl darauf, dass die EU einknicken wird, wenn klar wird, wie ernst er es mit einem No Deal meint. Vor allem das EU-Mitglied Irland, das für die Grenzkontrollen zum britischen Nordirland sorgen müsste, werde nachgeben, hoffen die Johnson-Anhänger.

Bisher deutet nichts darauf hin. Die EU beharrt auf der Linie, dass bestenfalls die Politische Erklärung über die künftigen Beziehungen beider Seiten noch zur Debatte steht. Es wird erwartet, dass Johnson im Sommer durch europäische Hauptstädte touren wird, um die bisher felsenfeste Front der EU aufzumeißeln. Weit oben auf der Liste stehen neben der irischen Hauptstadt Dublin Berlin und Paris.

Die Möglichkeiten des Parlaments in London, in den Prozess einzugriefen, sind beschränkt. Nur einen Tag nach Johnsons Amtsantritt beginnt die Sommerpause. Zum Showdown dürfte es erst im September oder sogar im Oktober kommen. Die Abgeordneten müssten die Kontrolle über den Parlamentskalender an sich reißen und die Regierung per Gesetz zu einer weiteren Verschiebung des EU-Austritts zwingen. Gelänge das nicht, bliebe den proeuropäischen Rebellen in der Tory-Fraktion nur noch, ihre eigene Regierung zu stürzen. Die Hemmschwelle ist hoch.

„Verschwenden Sie diese Zeit nicht.“ Mit diesen Worten hatte EU-Ratspräsident Donald Tusk die Briten gewarnt, als der Brexit im April zum zweiten Mal verschoben wurde. In der neuen Frist bis 31. Oktober sollte das britische Parlament eine Mehrheit für das Abkommen zum EU-Austritt finden – so stellte sich die Europäische Union das zumindest vor. Doch seither sind die Briten keinen Schritt vorangekommen.

 Boris Johnson gibt sich gern öffentlich als britischer Patriot – selbst beim Eisessen.

Boris Johnson gibt sich gern öffentlich als britischer Patriot – selbst beim Eisessen.

Foto: dpa/Frank Augstein
 Johnson als aufgeblasene Gummipuppe: Seine Gegner verhöhnen den Brexit-Hardliner gern.

Johnson als aufgeblasene Gummipuppe: Seine Gegner verhöhnen den Brexit-Hardliner gern.

Foto: AP/Aaron Chown

Wenn Johnson wie erwartet am Mittwoch als neuer Premier in die Londoner Downing Street einzieht, übernimmt er eine Regierung, die mit gerade einmal drei Stimmen nur über eine hauchdünne Mehrheit im Parlament verfügt. Angesichts der verfahrenen Situation gilt eine baldige Neuwahl inzwischen als wahrscheinlich. Die Frage ist, ob sie vor oder nach dem EU-Austritt stattfindet. Aus Teilen der Staatengemeinschaft gab es bereits Signale, dass der Brexit-Termin am 31. Oktober für eine Wahl noch einmal verschoben werden könnte.

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