Bereits 100 tote Frauen in diesem Jahr Frankreich macht mobil gegen Ehegewalt

Paris · Das Land hat eine der höchsten Mordraten in Partnerschaften. Macrons Staatssekretärin Marlène Schiappa soll sich des Themas annehmen.

 Proteste gegen „Feminizide“ im vergangenen Jahr in Paris: Französische Feministinnen haben den 24. November als Tag für landesweite Demonstrationen gegen Gewalt gegen Frauen festgelegt.

Proteste gegen „Feminizide“ im vergangenen Jahr in Paris: Französische Feministinnen haben den 24. November als Tag für landesweite Demonstrationen gegen Gewalt gegen Frauen festgelegt.

Foto: dpa/Michel Euler

Die Aufzählung schien endlos. „Chloé, 33 Jahre, erwürgt in Bar-le-Duc. Sandra, 31 Jahre, erstochen in Bouqueval...“ Das war am vergangenen Mittwoch, als eine Demonstration in Paris gegen die ­„Feminizide“ (Ermordungen von Frauen) die 97 bisherigen Todesopfer ehelicher Gewalt anprangerte.

Inzwischen steht der Zähler auf 100, wie die Frauenorganisation „Nous Toutes“ (Wir alle) am Montag mitgeteilt hat; Polizeistatistiken zum Thema Feminizide gibt es nicht. Der letzte Mord durch einen Partner geschah in Frankreich am Wochenende in Cagnes-sur-Mer an der Côte d‘Azur. Anwohner hatten in der Nacht einen lauten Streit gehört, bei dem eine Frau rief: „Ich verlasse dich.“ Am nächsten Morgen fand die Polizei die zur Unkenntlichkeit zerschlagene Leiche der 22-jährigen Frau, weil ein Fuß aus einem Blätterhaufen ragte. Ihr 26-jähriger Freund wurde verhaftet.

Ein Fall von vielen. Im vergangenen Jahr waren in Frankreich 121 Frauen durch ihren aktuellen oder ehemaligen Partner ums Leben gekommen. 200 000 weitere Fälle ehelicher Gewalt wurden registriert. Diese Rekorde dürften 2019 geschlagen werden.

Jetzt reagiert Präsident Emmanuel Macron, der die Gleichheit von Mann und Frau im Präsidentschaftswahlkampf von 2017 zur „grande cause“ (wichtiges Thema) erklärt hatte. Seine Staatssekretärin Marlène Schiappa beruft an diesem Dienstag in Paris „Generalstände gegen die Gewalt in der Ehe“ ein. Diese Veranstaltung ist seit langem geplant; dass sie nach dem 100. Feminizid beginnt, ist nur ein trauriger Zufall.

Die „Grenelle“, wie diese Veranstaltung in Anlehnung an Modelle im Bildungs- und Umweltbereich genannt werden, soll bis Ende November dauern und in konkrete Beschlüsse und Maßnahmen münden. Welche, soll erst in den nächsten Wochen und Monaten bekannt werden. Ihr Anfangsetat beträgt eine Million Euro. Das sei geradezu lächerlich, meint „Nous Toutes“ und verlangt ein Budget von einer Milliarde Euro. Nötig seien mehr Auffangstationen für gefährdete Frauen, mehr Fachpersonal in den Polizeiwachen sowie vorbeugende Kurse an Schulen. Das alles koste Geld, viel Geld.

Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo wirft Macron offen vor, er belasse es bei schönen Worten. „Gewalt in der Ehe ist kein häusliches, sondern ein politisches Thema“, meint die Sozialistin, die bei den Gemeindewahlen von 2020 von einem Macron-Kandidaten herausgefordert wird. Auch Schiappa muss sich vorhalten lassen, sie bleibe in der Frage der Ehegewalt wortreich und unverbindlich wie ihr Vorgesetzter im Elysée-Palast. Das ist zum Teil unfair, hat doch die Staatssekretärin trotz der sehr beschränkten Mittel ihres Ministeriums schon einiges erreicht. Der vor kurzem noch unbekannte Begriff „Feminizid“ hat sich in Frankreich erst im Zuge von Schiappas Internetpräsenz durchgesetzt.

Ein neuer Ausdruck rettet zwar nicht die Dutzenden von Frauen, die in Frankreich womöglich noch in diesem Jahr von ihrem Partner getötet werden. Schiappa wendet ein, dass sich ohne ein Umdenken nichts wirklich ändern werde. Vielen Tätern werde erst im Nachhinein bewusst, wie sie von täglichen Beschimpfungen zu Ohrfeigen übergegangen seien und dann plötzlich zum Küchenmesser gegriffen hätten. Eine Reportage auf dem Fernsehsender France-2 griff am Sonntag den Fall eines Rentners auf, der seine Frau umgebracht hatte – und erst nach zehnmonatiger Therapie im Gefängnis überhaupt zur Einsicht kam, was er seiner Frau über die Jahre angetan hatte.

Wie viel die „Generalstände“ mittel- und langfristig bewirken werden, muss sich zeigen. Tatsache ist, dass Frankreich heute europaweit eine der höchsten Mordraten in Partnerschaften hat. Die 100 Todesfälle sind gemessen an der Einwohnerzahl auch mehr als in Spanien, das einst als Hort dieses Phänomens galt. Mit dem Klischee der  südländischen Machogewalt habe das allerdings nichts zu tun, meint Schiappa. Im Gespräch verweist die Staatssekretärin für Geschlechtergleichheit darauf, dass Deutschland oder England noch höhere Zahlen aufwiesen. Wenn schon, spielten eher soziale Faktoren mit, meint sie. Häusliche Extremgewalt sei auch deshalb ein gesellschaftspolitisches Problem. Zumindest in diesem Punkt herrscht in Paris Einigkeit.

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