Antworten auf die Gelbwesten-Krise Der Befreiungsschlag gelingt Macron nicht

Paris · War alles nur ein großes Missverständnis? Haben die Franzosen die guten Absichten ihres Präsidenten bisher nur nicht richtig verstanden? Und hat Emmanuel Macron die Sorgen seines Volkes erst jetzt wirklich wahrgenommen, nachdem er wochenlang durch stickige Mehrzweckhallen in der Provinz getingelt ist?

 Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich

Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich

Foto: dpa/Michel Euler

Der erhoffte Befreiungsschlag ist ihm jedenfalls nicht gelungen. Der französische Präsident konnte die Kritiker mit seinen Ankündigungen nicht überzeugen. Zur besten Sendezeit präsentierte er am Donnerstagabend seine Konsequenzen aus der Gelbwesten-Krise und dem von ihm angeschobenen Bürgerdialog. Doch vor allem die Gilets Jaunes hielten ihm danach entgegen, seine Vorschläge würden nicht die Not im Land lindern.

Kein Zweifel, Macron ist auf die Franzosen zugegangen und versucht dabei, jedem etwas zu geben. Macron bietet den Linken mehr soziale Gerechtigkeit, den Rechten mehr Autorität, der Mittelschicht mehr Kaufkraft und den Rentnern mehr Rente. Er hat angekündigt, die Einkommensteuer „deutlich“ zu senken. Pensionäre mit geringen Einkommen von bis zu 2000 Euro sollen bessergestellt werden. Macron will Volksbefragungen erleichtern und mehr direkte Demokratie, in abgelegenen Landesteilen bis 2022 keine Schulen oder Krankenhäuser schließen, Beamtenstellen doch nicht streichen.

Aber reicht das? Im selben Atemzug macht der Präsident deutlich: Seinen eigentlichen Reformkurs wird er auf keinen Fall preisgeben, auch wenn es ihn am Ende den eigenen Kopf kosten könnte. Seine Wiederwahl sei ihm „völlig egal“, verkündet Macron scheinbar unbeirrt, er wolle nur, dass seine Amtszeit ein Erfolg werde. Solche Aussagen lassen zweifeln, ob der Präsident seinem Volk auch wirklich zugehört und verstanden hat, weshalb seit Monaten jeden Samstag die Menschen in gelben Westen auf die Straße gehen. Gleichzeitig bestätigt Macron alle Vorurteile gegen ihn. Er wirkt wie ein abgehobener Monarch, der glaubt, es genüge, Wohltaten zu verteilen, um die aufbegehrenden Untertanen ruhigzustellen.

Die Franzosen verlangen bei ihren Protesten zwar Steuererleichterungen, bessere Schulen und eine funktionierende Infrastruktur vor allem im ländlichen Raum, doch sie wollen mehr sein, als nur Konsumenten von sozialen Wohltaten. Es geht um Gerechtigkeit und Anerkennung. Sie sehen, dass die Kluft zwischen Reich und Arm immer größer wird und dass ein einfacher Job oft nicht mehr zum Überleben reicht.

Diese Entwicklung ist nicht neu, schon seit einem Vierteljahrhundert ist die soziale Gerechtigkeit zentrales Thema in den Wahlkämpfen. Geschehen ist in den Augen der Betroffenen allerdings zu wenig. Im Gegenteil: Die wirtschaftliche Misere und damit die Spaltung des Landes hat sich weiter vertieft. Während in Paris die Mächtigen die Globalisierung priesen und die Wirtschaft liberalisierten, schlossen in der Peripherie die Fabriken. Diese Entwicklung ist ein Grund für den Hass auf eine abgehobene Politikerkaste.

Globalisierung ist ein Wort, das auch Macron gerne ins Feld führt. Der Präsident sieht sie als Chance für den Fortschritt und wundert sich, dass ihm viele Landsleute nicht folgen wollen. Ihre Angst hat er nicht erkannt. Auch deshalb ist Macron der Befreiungsschlag nicht geglückt. Zu vielfältig sind die Probleme, zu groß die Vorbehalte. Trotzdem hat er instinktiv den richtigen Weg eingeschlagen. Mit der Grand Débat hat er begonnen, eine Brücke über die Kluft zu bauen. Darin liegt eine Chance. Die Bürger müssen mehr mitwirken können. Der Zentralstaat muss Macht an die Regionen abgeben. Mehr Verantwortung in Händen des Volkes, damit könnten auch die Gelbwesten zufrieden sein.

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