Proteste in Moskau Massen-Festnahmen am Russland-Tag

Moskau · In Moskau führt die Polizei bei einem Solidaritätsmarsch für den freigelassenen Journalisten Golunow hunderte Menschen ab.

 Mehr als 200 Festnahmen gab es bei dem nicht genehmigten Protestmarsch am russischen Nationalfeiertag.

Mehr als 200 Festnahmen gab es bei dem nicht genehmigten Protestmarsch am russischen Nationalfeiertag.

Foto: dpa/Pavel Golovkin

(red/dpa) Bei einer nicht genehmigten Solidaritätskundgebung für den russischen Enthüllungsjournalisten Iwan Golunow in Moskau sind hunderte Menschen festgenommen worden. Darunter sei auch Kremlkritiker Alexej Nawalny, bestätigte seine Sprecherin auf Twitter. Nach Angaben der Polizei beteiligten sich rund 1200 Menschen an der Kundgebung, wie die Nachrichtenagentur Tass meldete. Unter den Festgenommenen sind auch Journalisten.

Die Stadt hatte die Erlaubnis zu dem geplanten Protestmarsch für den in der vergangenen Woche wegen vermeintlichen Drogenbesitzes festgenommenen Golunow im Moskauer Zentrum bis zuletzt nicht erteilt. Als der Journalist wider Erwarten am Dienstagabend auf freien Fuß gesetzt wurde, schien der Anlass für eine Demonstration auch zunächst zu entfallen. Zumal alle Anklagepunkte fallen gelassen worden waren. Das Rauschgift war Golunow untergeschoben worden – eine gängige Praxis, um unliebsame Köpfe aus dem Verkehr zu ziehen.

Und so rieten die Organisatoren potentiellen Teilnehmern, nun doch den Nationalfeiertag an diesem Mittwoch – Russlands Ehrentag – zu genießen und sich über die Freilassung Golunows zu freuen. Sie wollten zu einem späteren Zeitpunkt eine genehmigte Veranstaltung abhalten. Doch dann kam es doch zum Protestmarsch am Russland-Tag – und auch einige Organisatoren kamen. Unter ihnen Galina Timtschenko, die jahrelang die journalistische Agentur Meduza geleitet hatte. Golunow war einer ihrer Mitarbeiter gewesen. 2014 zog Timtschenko mit ihrer Agentur nach Lettland, um sich den Übergriffen der russischen Behörden auf heimische Medien zu entziehen. Timtschenko kam als Privatperson, zwischen 2000 und 3000 Protestierende hatten sich indes trotz fehlender Erlaubnis an der Metrostation Tschistije Prudy eingefunden – die Zahl der Organisatoren lag dabei über den Angaben der Polizei.

Timtschenko dokumentierte mit Kollegen mehr als 400 Festnahmen. Auch Oppositionspolitiker Alexej Nawalny war einer der ersten Inhaftierten. 30 Tage U-Haft drohen dem Antikorruptionskämpfer, der nach seiner Festnahme auf Twitter von „fantastischer Solidarität“ und „höllisch erschrockenen Machthabern“ schrieb. Neben Nawalny griff die Polizei wahllos, meist junge Menschen aus der Menge und verfrachtete sie in Polizeibusse. Die meisten waren überrascht und wehrten sich kaum. Zunächst geschah das vor der Metrostation. Als sich eine große Gruppe entschloss, weiter zur Hauptverwaltung des Innenministeriums zu ziehen, beließ es die Polizei nicht mehr bei einzelnen Festnahmen. Gezielt gingen Trupps gegen Gruppen von Demonstranten vor.

Reden durften auf der Veranstaltung nicht gehalten werden, auch Transparente und andere sichtbaren Meinungsäußerungen waren nicht erlaubt. Das tat der guten Stimmung aber keinen Abbruch. Mit der Freilassung Golunovs hatte die Staatsmacht einen Rückzieher vollzogen und war in Deckung gegangen. Sie hatte eine empfindliche Schlappe riskiert, meinte ein Journalist. Das beflügelte viele Teilnehmer, die über die Beteiligung des Kreml an diesem Rückzug räsonierten. Für die meisten stand fest, dass die Weisung vom Kreml ausgegangen sein musste. Dem TV-Moderator Michail Fishman vom unabhängigen Kanal „doschd“ zufolge war dieser Rückzug jedoch „noch lange kein Sieg“. Das Umfeld hätte sich keineswegs verändert. Die Menschen seien rechtlos und staatlicher Korruption ausgeliefert. Sei das nicht ausreichend Grund, den Marsch trotz Freilassung stattfinden zu lassen?, fragte er.

In drei Fällen zeigte der russische Staat in den vergangenen Monaten Schwäche: In Jekaterinburg wurde ein Bauprojekt der Kirche gestoppt. Bürger sollen nun in einem Referendum darüber entscheiden. In Schies im Verwaltungsgebiet Archangelsk wehren sich Bürger gegen die Einrichtung einer riesigen Müllkippe. Der Bau musste zumindest vorübergehend unterbrochen werden. Und dann kam die Freilassung Iwan Golunows, der selbst nicht an dem Protestmarsch teilnahm.

Seine Festnahme hatte eine Protestwelle in Russland ausgelöst, die selbst regierungsfreundliche Medien erfasste. Selbst verwegene TV-Propagandisten stellten sich auf die Seite Iwan Golunows. Und sogar die Vorsitzende des Föderationsrates der Duma, Valentina Matwienko, sparte nicht mit Schelte. Sie sprach von Tölpelhaftigkeit der Polizei. All das rufe Misstrauen gegenüber den Ermittlungsbehörden hervor, meinte sie.

An den Festnahmen änderte das nichts. Unter den Festgenommenen waren viele Träger von T-Shirts mit der Aufschrift „Ich bin Iwan Golunow“. Mit dem Spruch hatten am Montag drei große Zeitungen ihre Solidarität mit Golunow gezeigt.

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