Wie es den Überlebenden heute geht Die Angst bleibt auch nach 20 Jahren

Washington · Am 20. April 1999 haben zwei Jugendliche an der Columbine Highschool zwölf Schüler, einen Lehrer und sich selbst getötet.

Nach dem Angriff wieder zu unterrichten, das sei ihm sehr schwer gefallen, sagt Kiki Leyba. „Ich hatte Angstgefühle. Ich konnte kaum erwarten, dass endlich Pause war und meine Schüler das Klassenzimmer verließen.“ Als der Englischlehrer endlich allein war, schaltete er das Licht aus, schloss die Tür von innen ab und legte sich hinter seinen Tisch auf den Fußboden, wo ihn eine Panikattacke überkam.

In langen Gesprächen mit Laura Farber, einer ehemaligen Schülerin, hat Leyba geschildert, was in ihm vorging, als seine Schule versuchte, zu etwas zurückzukehren, was Außenstehende ein wenig vorschnell, ein wenig unbedacht Normalität nennen. Farber hat es zu einem Film verdichtet. Nicht nur Leyba kommt darin zu Wort, auch vier ihrer einstigen Mitschüler beschreiben, wie das Leben weiterging nach dem ersten Schusswaffenmassaker an einer amerikanischen Schule.

Am Samstag, 20. April, ist es 20 Jahre her, dass Eric Harris und Dylan Klebold in Trenchcoats in die Columbine High School in Littleton, Colorado, marschierten und zwölf Schüler und einen Lehrer umbrachten, bevor sie sich selber das Leben nahmen. Farbers Dokumentation ist in den USA in aller Munde, gerade jetzt, rund um den Jahrestag. Was sie von anderen unterscheidet, ist die Tatsache, dass keiner der beiden Schützen auch nur ein einziges Mal beim Namen genannt wird. Es geht allein um die Überlebenden. Um Amy und Jaimi, heute Frauen Mitte dreißig, die eine Sozialarbeiterin, die andere Krankenschwester. Um Gus, der Rapper wurde. Um Zach, der als Sportlehrer zurückkehrte an die Columbine-Schule.

Es habe sich angehört, als laufe ein Spielmannszug über den Flur, „nur dass die Leute ihre Instrumente nicht spielten, sondern darauf einzuhämmern schienen“, beschreibt Amy, was sie wahrnahm, als sie in der Kantine unter einem Tisch kauerte, nachdem jemand gerufen hatte, sie sollten in Deckung gehen. Heute, sagt sie, suche sie schnell das Weite, wenn sie das Gefühl habe, ein Streit könnte sich hochschaukeln. Jaimi, damals Kapitänin der Basketballmannschaft, litt lange an Schlafstörungen und begann Marihuana zu rauchen. Bis vor drei, vier Jahren habe sie es in keinem Raum ausgehalten, dessen Tür sie nicht sehen konnte. Bis zum 19. April 1999, erzählt Zach, habe er sich hauptsächlich Gedanken darüber gemacht, ob seine Klamotten cool genug waren. „Vom nächsten Tag an beschäftigte mich, wie sich jemand fühlt, wie man sich kümmern kann.“

Das Blutbad von Littleton, es hat die Amerikaner nicht nur aufgewühlt, es ließ auch den Ruf nach strengeren Kontrollen laut werden. Besorgte Direktoren ließen Metalldetektoren aufstellen, um zu verhindern, dass Waffen in die Klassenzimmer geschmuggelt wurden. Mancherorts sind sie wieder verschwunden, versprechen sie doch keinen wirklichen Schutz: Amokläufer reihen sich nicht vor Unterrichtsbeginn in eine Warteschlange ein. Wächter, die mit gut sichtbarer Waffe Patrouille laufen, sind ebenfalls selten zu sehen: Eine Schule sei keine Kaserne, wehren die Gegner solche Maßnahmen ab. Versuche, den Erwerb halbautomatischer Gewehre durch Gesetze zu erschweren, scheiterten regelmäßig im Parlament – am Einfluss der National Rifle Association, der Waffenlobby, auf deren Unterstützung in Wahlkämpfen viele Abgeordnete bauen.

Selbst im größten Schock, nachdem der chronisch depressive Adam Lanza in der Sandy-Hook-Grundschule in Newtown 20 Erstklässler ermordet hatte und es für kurze Zeit so aussah, als gebe sich der Kongress einen Ruck, blieb alles beim Alten.

Was sich seit Columbine verbessert hat, ist die Kommunikation. Sobald Direktoren oder Polizisten Gefahr im Verzug sehen, senden sie SMS-Nachrichten auf Tausende Handys. Beamte reagieren deutlich schneller, als es in Littleton der Fall war. Dort vergingen 47 Minuten, bis Sondereinheiten der Polizei das Gebäude betraten. Zunächst glaubte man, es mit Geiselnehmern zu tun zu haben, die Forderungen stellen würden. „Dass die beiden nicht verhandeln wollten, sondern nur töten, darauf war niemand eingestellt“, schreibt der Journalist Dave Cullen in einem preisgekrönten Buch.

Und zum Alltag gehören Übungen für den Fall, dass jemand zu schießen beginnt. Vorhänge zuziehen, das Klassenzimmer verdunkeln, unter Tische kriechen oder in Schränke. Mindestens zweimal im Jahr wird der „lockdown“ trainiert, auch etwas, was man vor Columbine nicht kannte. In Laura Farbers Film erzählt Frank De Angelo, der Schuldirektor, irgendwann von den vielen Details, die sie nach dem Blutbad ändern mussten. Zum Beispiel den Speiseplan. Am 20. April 1999 war chinesisch gekocht worden, darauf mussten sie später lange verzichten. Es hätte, sagt De Angelo, traumatische Erinnerungen geweckt.

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