100 Tage „vdL“ Durchwachsene Bilanz für die „Eiserne Ursula“

Brüssel · Als Ursula von der Leyen vor 100 Tagen ihr neues Amt antrat, war vom Coronavirus in Europa noch keine Rede. An der griechisch-türkischen Grenze herrschte Ruhe. Der Brexit beherrschte die Schlagzeilen.

 EU-Komissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) war bis zu ihrer Wahl Bundesverteidigungsministerin.

EU-Komissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) war bis zu ihrer Wahl Bundesverteidigungsministerin.

Foto: dpa/Virginia Mayo

„Es gab viele offene Fragen, aber die heutigen standen nicht auf dem Programm“, räumte die seit 1. Dezember amtierende Kommissionspräsidentin und erste Frau auf dem Chefsessel der Union am Montag ein. Den besonderen Anlass ihrer ersten 100 Tage nutzte „VdL“, wie die CDU-Politikerin im in Abkürzungen verliebten Brüssel genannt wird, um vor allem in Sachen Migration den Eindruck allzu großer Härte geradezurücken. „Das Recht, um Asyl zu bitten, ist ein fundamentales Recht.“ Die Situation an der griechischen Außengrenze der EU müsse gelöst werden. Aber nicht nur die Übergänge sollten geschützt werden, die Flüchtlinge davor bräuchten gleichzeitig Hilfe.

Es war nicht der einzige Versuch, das Image der „Eisernen Ursula“ abzustreifen – ein Ruf, der ihr inzwischen vorauseilt. Aus dem Inneren der Kommission wird von großen Erwartungen und hohem Leistungsdruck berichtet. Selbst hohe Generaldirektoren lassen durchblicken, dass die Präsidentin „Ergebnisse haben will“ und „nicht begeistert“ reagiere, wenn diese länger brauchten. Jens Geier, SPD-Chef im Europäischen Parlament, brachte das gegenüber unserer Zeitung am Beispiel der „Untätigkeit der EU in der Migrationspolitik“ auf den Punkt: „Da darf die Kommissionspräsidentin nicht nur mit dem Hubschrauber herumfliegen und markige Sprüche klopfen.“ Es seien Initiativen gefragt, mindestens eine Koalition der Willigen für eine humanitäre Flüchtlingspolitik solle das Ziel sein.

Dabei hat von der Leyen durchaus Punkte gesammelt: Der Green Deal wurde schon innerhalb der ersten vier Wochen angekündigt, das erste Klimaschutzgesetz der EU auf den Weg gebracht. In Sachen Digitalisierung liegt ein Plan auf dem Tisch. Diesen Dienstag legt die Kommission ihre Industriestrategie vor. „Sinnvolle Initiativen“ bescheinigt ihr Geier. „Beeindruckt hat sie noch nicht“, sagt indes der FDP-Europa-Abgeordnete Moritz Körner. Sie sei „bislang eine Ankündigungsmeisterin, die schöne Überschriften für politische Projekte“ geliefert habe, aber eben nicht mehr. „Die ersten großen Gesetzesvorhaben weisen in die richtige Richtung“, meint der Vorsitzende der CDU-Parlamentarier, Daniel Caspary. Aber: „Jetzt müssen Gesetzesvorschläge auf den Tisch.“

Das ist ihr Problem: Vor lauter Ehrgeiz, nur ja innerhalb der ersten 100 Tage Weichen zu stellen, blieb nur Zeit für einen groben Rahmen. Das liegt zum Teil am System: Die Europäische Kommission und ihre Präsidentin können eben nur vorschlagen, aber nichts aus eigener Kraft durchsetzen. Selbst wenn das Parlament mitspielt, stehen die Mitgliedstaaten auf der Bremse – wie derzeit beim EU-Haushalt, der beim jüngsten Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs scheiterte. Selbst diejenigen, denen von der Leyen ihre Überraschungswahl vom vergangenen Juli verdankt, ziehen jetzt nicht mit.

Intern präsentiert sich die Chefin sehr viel offener und nicht so strikt und dogmatisch, wie sie manchmal erscheint. Den Kreis ihrer Exekutiv-Vizepräsidenten, Vizepräsidenten und „normalen“ EU-Kommissare leitet die 61-jährige Tochter des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (1976 bis 1990) sehr kollegial, heißt es.

So schwanken die Benotungen für VdL in Brüssel zwischen „Zwei“ und „Vier“. Übersetzt heißt das wohl so viel wie: Die neue Kommissionspräsidentin hat selbst hohe Erwartungen ausgelöst. Erfüllt hat sie diese nicht. Aber dafür hat sie ja noch knapp 1700 Tage Zeit.

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