Auf der Suche nach drei Milliarden

Brüssel · Der Streit um die Finanzierung der zugesagten Hilfsmilliarden an die Türkei geht weiter. Deutschland erwägt nun, seinen Anteil an den drei Milliarden Euro aufzustocken.

Gesucht werden drei Milliarden Euro . Mit dieser Summe wollen die EU-Staaten Flüchtlingslager in der Türkei unterstützen, damit Ankara im Gegenzug seine Grenzen dichtmacht. Doch die Operation gestaltet sich schwierig. Als die Finanzminister der Gemeinschaft gestern in Brüssel einen ersten Kassensturz machten, fehlten am Ende noch etliche hundert Millionen.

Eine halbe Milliarde will die EU-Kommission dem Etat der Union entnehmen, die restlichen 2,5 Milliarden aber sollen von den 28 Mitgliedstaaten kommen. Nach dem gängigen Schlüssel zur Aufteilung solcher Kosten müssten Deutschland und Frankreich 500 Millionen einzahlen, 400 Millionen kämen aus London. Es seien "viele Regierungen bereit", in die Tasche zu greifen, hieß es am Ende des Treffens. Aber eben nicht alle. So habe sich Zypern quergelegt, ausgerechnet den politischen Gegner Türkei mitzufinanzieren, der die geteilte Insel bis heute nicht als Mitglied der Gemeinschaft anerkennt.

Die Diskussionen gestalten sich vor allem deshalb holprig, weil die Atmosphäre zwischen den Mitgliedstaaten durch die Weigerung Polens, Tschechiens, der Slowakei und Ungarns, überhaupt Flüchtlinge aufzunehmen, belastet ist. Für massive Verärgerung sorgte zusätzlich ein Vorstoß, der dem deutschen Bundesfinanzminister zugeschrieben wird. Demnach habe Wolfgang Schäuble darauf gedrängt, die drei Milliarden aus Fördermitteln zu nehmen, die eigentlich für die Verbesserung der Infrastruktur im Osten vorgesehen sind, aber nicht abgerufen wurden. Warschau, Prag, Budapest und Bratislava sahen in der Aktion den Versuch, sie für die Weigerung, Flüchtlinge aufzunehmen, zu bestrafen.

Hinter den Kulissen hieß es gestern, dass zumindest die Bundesrepublik bereit sei, ihren Anteil "deutlich" zu erhöhen. Dem Vernehmen nach habe die Bundeskanzlerin das Finanzministerium bereits angewiesen, nach Möglichkeiten zu suchen, den deutschen Anteil aufzustocken. Berlin gehe, so Stimmen aus Führungskreisen der CDU , davon aus, dass es "billiger sei, eine Milliarde in den Türkei-Topf zu investieren als Tausende weiterer Flüchtlinge verkraften zu müssen".

Schwierig gestaltet sich offenbar nicht nur das Einsammeln der benötigten Summe, sondern auch die Liste der Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um das Geld an Ankara auszuzahlen. Aus dem Umfeld der Finanzminister hieß es, man werde "auf keinen Fall" den vollständigen Betrag freigeben, sondern "Gegenleistungen" der türkischen Seite verlangen. "Ohne eine deutliche Verbesserung der Grenzkontrollen insbesondere an den Küsten Richtung Griechenland fließt kein Cent", betonte gestern ein EU-Diplomat. Auch die Überwachung der Balkanroute müsse "drastisch verstärkt" werden.

Meinung:

Die Hoffnung ist wieder dahin

Von SZ-KorrespondentDetlef Drewes

Das war zu befürchten. Der gerade angeworfene Motor der Annäherung an die Türkei stottert - und die EU beraubt sich eines besonders vielversprechenden Instrumentes, um den Zustrom von Flüchtlingen über die Balkanroute zu reduzieren. Denn es gehört nicht viel Fantasie dazu zu ahnen, dass auch nach einem Durchbruch beim EU-Gipfel Ende kommender Woche noch viel Zeit ins Land gehen dürfte, ehe die Maßnahmen der Türkei Wirkung zeigen. Die Hoffnung auf einen schnell wirksamen politischen Schritt, der die Krise sozusagen über Nacht stoppen könnte, ist also erneut dahin. Schlimmer noch: Die so oft beschworene Werte-Gemeinschaft muss weiter mit den Bildern vom unmenschlichen Umgang mit Flüchtlingen an ihren Außengrenzen leben.

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