Athen wehrt sich gegen Druck

Athen · In der Flüchtlingskrise fordern erste Politiker einen Ausschluss Griechenlands aus dem europäischen Schengen-Raum. Wie das Land seine Seegrenze zur Türkei schützen soll, verraten sie nicht.

Vor knapp zwei Monaten vereinbarten die Europäische Union (EU) und die Türkei, dass Ankara den Flüchtlingszustrom nach Griechenland unterbindet. Die aktuellen Zahlen jedoch sprechen eine andere Sprache. In den ersten drei Wochen des neuen Jahres gingen in Griechenland 35 455 Flüchtlinge und Migranten an Land, 94 Menschen verloren bei der gefährlichen Überfahrt ihr Leben. Nun fordern Politiker aus anderen EU-Staaten einen Ausschluss Griechenlands aus dem Schengen-Raum. Für Athen ein Armutszeugnis in Sachen Solidarität.

Was jeder Rettungsschwimmer weiß, scheine bei den Betreffenden noch nicht angekommen zu sein, heißt es in Athen : Auf hoher See ist man verpflichtet, Schiffbrüchigen zu helfen. Deshalb statten Schleuser Flüchtlinge vor Reiseantritt mit Werkzeugen aus, um ihre Boote zu versenken, sobald die Küstenwache oder die Marine in Sichtweite sind. Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ist dennoch der Ansicht, es sei ein Mythos, dass die griechische Seegrenze zur Türkei sich nicht kontrollieren lasse. In der "Welt am Sonntag" forderte sie den vorrübergehenden Ausschluss Griechenlands aus dem Schengen-Raum, wenn das Land "nicht endlich mehr" für die Sicherung der EU-Außengrenze unternehme. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU ) stieß in Sofia bei einer Sicherheitskonferenz ins selbe Horn. Dem griechischen Außenminister Nikos Kotzias platzte nun der Kragen. In einem Gespräch mit der Berliner "Tageszeitung" (taz) stellte er klar: "Wenn wir die Flüchtlinge stoppen wollten, müssten wir Krieg gegen sie führen. Wir müssten sie bombardieren, ihre Boote versenken und die Menschen ertrinken lassen."

Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SDP) kritisierte die Drohung. "Scheinlösungen wie der Ausschluss einzelner Staaten aus dem Schengen-Raum bringen niemanden weiter", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos versicherte im griechischen TV-Sender Mega, es gebe "natürlich keinen" Plan zum Ausschluss der Griechen aus dem Schengen-Raum.

Für die Regierung in Athen steht fest, dass die von der Türkei zugesagte Kontrolle der Flüchtlinge nicht funktioniert. Die Türkei halte ihre Versprechen gegenüber Europa nicht ein, hieß es in einer Erklärung des Migrationsministeriums in Athen . Aus Athener Regierungskreisen heißt es auch, die Türkei habe die Visumspflicht für Bürger jener Staaten aufgehoben, aus denen Migranten kämen, die ihre Heimat aus wirtschaftlichen Gründen verließen. So kämen inzwischen zunehmend Marokkaner und Algerier an den griechischen Inseln an.

Da die EU mit Ankara nicht vorankomme, konzentrierten sich die Schuldzuweisungen nun wieder auf Griechenland, ist man in Athen überzeugt. So forderte Ungarns rechtskonservativer Regierungschef Viktor Orban etwa, Griechenland solle im Norden Zäune ziehen. Die Frage, wie es nach der Schließung aller möglichen Grenzen und einem Schengen-Ausschluss Griechenlands weitergehen soll, wird nicht beantwortet. Seit das Balkanland Mazedonien seine Grenzen für alle Menschen dichtgemacht hat, die nicht als Kriegsflüchtlinge, sondern als "Wirtschaftsmigranten" gelten, nimmt deren Zahl in Griechenland täglich zu. In Athen fragt man sich deshalb immer öfter, ob Griechenland womöglich zu Europas Auffanglager für Migranten werden soll.

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